Philip Fricke hat einen überdurchschnittlich hohen IQ: der zwölfjährige Krefelder zählt zu den wenigen hochbegabten Menschen, die gerade mal drei Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen. KR-ONE hat das kleine Genie besucht – und ist aus dem Staunen nicht herausgekommen.

Schüler mit Hochbegabung - 
Kluges Köpfchen aus Krefeld

Ein wolkenverhangener Dienstag im März, es ist mittags, kurz vor halb zwei. Philip Fricke hat Schulschluss. Der zwölfjährige Junge wuchtet die Schultasche ins Auto seiner Mutter, das vor dem Schulgebäude auf ihn gewartet hat, steigt in den Wagen, fährt mit seiner Mutter nach Hause. Gleich gibt es Mittagessen, danach muss Philip noch Hausaufgaben machen, eine Dreiviertelstunde plant er dafür ein. Und danach, endlich, er freut sich schon, wird er es sich vor seinem Laptop gemütlich machen. Aber nicht, um auf Facebook zu surfen oder youtube-Videos seiner Lieblingsband „257ers“ zu gucken.

Sondern um sich mit Mathematik zu beschäftigen. Mit „Logarithmen“. Mit „Ganzrationalen Funktionen des 4. Grades“. Mathematik auf Oberstufenniveau – für jedes Kind normalerweise die totale Überforderung. Nicht für Philip: der junge Krefelder ist hochbegabt.

„Löse die folgende Exponentialgleichung durch Logarithmieren und runde Dein Ergebnis, falls nötig, auf zwei Nachkommastellen.“ Die Aufgabe, die Philip da gerade vom Bildschirm seines Laptops abliest, das auf dem Tisch im Esszimmer seiner Eltern steht, treibt Normalsterblichen den Schweiß auf die Stirn. Philip zaubert sie ein Lächeln auf die Lippen. „Das ist eine ältere Aufgabe, da weiß ich schon die Lösung, war gar nicht so schwer“, winkt der Blondschopf ab. In die erwähnte Geometrie, die „Ganzrationalen Funktionen des 4. Grades“ fuchst er sich hingegen zurzeit ganz neu ein. Auch hier klingen die Aufgabenstellungen für Außenstehende bedrohlich: „Gegeben seien die Punkte P (0| 3), Q (-1| 6,5) und C (2| 23). Gib die Gleichung einer Parabel 4. Ordnung an, welche durch die drei genannten Punkte verläuft und symmetrisch zur y-Achse ist.“ Philip guckt interessiert. Die Matheaufgaben, an denen er nach der Schule freiwillig herumknobelt, gehören zum Fernlehrangebot der „Young Business School“ und dem „Master Mint“-Projekt, schulergänzenden Fern-Förderprogrammen des „Instituts für Jugendmanagement“ (IJM) in Heidelberg für leistungsbereite Kinder. Oder gar hochbegabte Kinder. Kindern wie Philip.

„Für die Tower Bridge habe ich eine Woche gebraucht, für den Ringe-Turm drei Tage.“

„Er konnte kaum lesen, da hatte er schon die Tageszeitung in der Hand“, erinnert sich Isabelle Fricke, die heute 43-jährige Mutter, an die Kleinkindzeit ihres Sohnes. „Im Kindergarten, als Philip erstmals mit anderen Jungen und Mädchen seines Alters zusammen traf, sind wir angesprochen worden, ob wir nicht bei ihm einen Intelligenztest machen wollen.“

Die Frickes fuhren mit ihrem Jungen zu Psychologen nach Essen und Mönchengladbach, verrieten Philip jedoch zunächst nicht den wahren Grund dafür. „Wir wollten, dass ein möglichst unverfälschtes Ergebnis bei den Untersuchungen herauskommt“, sagt Isabelle Fricke lächelnd. Die Tests ergaben einen ungewöhnlich hohen Intelligenzquotienten. Wie hoch genau, will Isabelle Fricke nicht verraten, nur so viel: „Der Quotient liegt weit über Durchschnitt.“

Von einer Hochbegabung spricht man bei Menschen mit einem Intelligenzquotienten „ab 130 nach einem anerkannten altersgerechten Testverfahren“, erklärt Hans-Ulrich Greiner, Präsident der „Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind“ (DGhK) in Berlin. Der hohe IQ entstünde durch „mehr neuronale Verknüpfungen im Gehirn“, so Greiner: „Die Kinder denken komplexer und können besser und schneller kombinieren.“ Gerade mal „zwei bis drei Prozent der Bevölkerung“ hätten eine solche Begabung. Philip zählt damit zu einer Minderheit, der gleichwohl absolute Aufmerksamkeit gebührt. Denn Kinder wie er stellen Eltern vor besondere Herausforderungen im Alltag, Isabelle Fricke nickt: „Wenn Philip sagt, ,ich hab‘ da mal eine Frage‘, kommen gleich hundert Fragen auf mich zu.“

Schüler mit Hochbegabung - 
Kluges Köpfchen aus Krefeld

Besonders gefordert sind die Eltern in zwischenmenschlicher Hinsicht, betont ­Thomas Aigner. Der Leiter des psychologischen Dienstes der Stadt Krefeld hat sich auf Hochbegabung bei Kindern spezialisiert. Aigner weiß: „Wenn die intellektuelle Entwicklung eines Kindes nicht synchron läuft mit der emotionalen Entwicklung, können typische Probleme entstehen: es wird dann oft für das Kind schwierig, Freundschaften mit anderen Kindern zu schließen und zu pflegen, weil es vielleicht gar nicht erkennt, wenn andere Kinder überfordert auf die Hochbegabung reagieren. Dann ist es schon Aufgabe der Eltern, dem hochbegabten Kind mehr Verständnis für Gleichaltrige beizubringen.“ Parallel, so DGhK-Präsident ­Greiner, brauchen gerade hochbegabte Jungen und Mädchen nicht nur Empathie, sondern besonders unmissverständliche Ansagen. „Die Kinder sind so clever, dass sie leicht den Spieß umdrehen und anfangen, ihre Eltern zu erziehen. Deshalb brauchen sie Führung mit klaren Regeln und klaren Grenzen.“

Was auch Isabelle Fricke von einschlägigen Psychologen ans Herz gelegt bekommen hat. Und worüber man überraschend offen mit Philip übrigens selbst sprechen kann. Fragt man den jungen Krefelder, wie die Menschen ihm am besten begegnen sollen, sagt er mit unbewegter Miene wie aus der Pistole geschossen: „Hart, aber fair.“ In seinen großen blauen Augen blitzt dabei eine sympathische Überdosis Schalk. Inzwischen pladdern dicke Regentropfen an das Esszimmer-Fenster. Wenn er den täglichen Rechenexkurs beendet hat, kann Philip einem seiner vielen Hobbys nachgehen. E-Gitarre spielen zum Beispiel oder Modelle aus Legosteinen bauen. Natürlich nicht irgendwelche Modelle. Philip läuft die steinerne Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock im Haus seiner Eltern, biegt nach links ab in sein Reich, ein helles, geräumiges Jungenzimmer. Er öffnet den Wandschrank, und man kommt aus dem Stauen nicht mehr heraus. Wo sich bei anderen Kindern Pullis, Hosen, Socken stapeln, thronen regelrechte Lego-Kunstwerke in den Regalen: eine gigantische Raumflotte, die Londoner Tower Bridge, ein imposantes Segelschiff, ein Nachbau des Turms aus „Herr der Ringe“.

Schüler mit Hochbegabung - 
Kluges Köpfchen aus Krefeld

„Für die Tower Bridge habe ich eine Woche gebraucht, für den Ringe-Turm drei Tage“, erklärt Philip. Egal was er anfasst, er scheint es perfektionieren zu wollen. Aber seine Mutter ist überzeugt: „Es macht ihm Spaß, und er will es nicht anders.“ Deshalb glaubt sie auch nicht, dass sich Philip mit der Heidelberger „Young Business School“ überfordern könnte. Die Fern-Förderung aus Baden-Württemberg konzentriert sich auf naturwissenschaftliche Fächer und besteht aus Aufgabenpaketen, die Schülern wie dem zwölfjährigen Krefelder im Internet zugänglich gemacht werden. Einmal pro Woche hat Philip einen Telefontermin mit einem Heidelberger Tutor, der mit ihm die bisher erreichten Ergebnisse bespricht und ein neues Wochenziel festlegt. „Das Wochenpensum richtet sich danach, wie viel er neben seinen übrigen Pflichten erreichen kann und will“, erklärt der Heidelberger Projektleiter Gero Schäfer. „Im Bestfall könnte Philip mit dem Fernlernprogramm den Stoff von einem Schuljahr in zweieinhalb Monaten schaffen.“

Der Kontakt zwischen der „Young Business School“ beziehungsweise „Master Mint“ und Philip besteht seit anderthalb Jahren und wurde durch die Marienschule in Krefeld geknüpft, an der Philip damals Schüler war und die den Jungen fördern wollte. Viermal im Jahr besucht Philip seitdem das Heidelberger „Institut für Jugendmanagement“ für „Präsenzphasen“, in denen er vor Ort mit anderen hochbegabten Kindern aus den verschiedensten Ecken Deutschlands einen mehrtägigen Mathe-Marathon durchläuft. Mehrmals im Jahr bricht er auch mit der „Young Business School“ zu Forschungsexpeditionen ins Ausland auf; die letzte hat ihn auf die Azoren geführt, wo er zusammen mit den anderen Kindern auf Schnellbooten über den Atlantik gedüst ist, Delfine und Wale beobachtet hat. Für die nächste Expedition wird er im April und Mai nach Island reisen, um „Wissenswertes über Flora, Fauna und Klima“ zu lernen.

Schüler mit Hochbegabung - 
Kluges Köpfchen aus Krefeld

Aufgabe: „Gegeben seien die Punkte P (0|3), Q (-1|6,5) und C (2|23). Gib die Gleichung einer Parabel 4. Ordnung an, welche durch die drei genannten Punkte verläuft und symmetrisch zur y-Achse ist.“

Wie würde Philip sich selbst beschreiben? Der Junge schaut zur Zimmerdecke, schiebt die Unterlippe vor, denkt kurz nach. Dann antwortet er: „Lustig, nett. ­Ironisch.“ Das letzte Wort würde wohl kaum ein anderes gleichaltriges Kind für sich wählen. Es lässt erahnen, dass ein Power-Programm, wie Philip es neben der Regelschule herunterreißt, keine Belastung zu sein scheint. Weil alles Normale ohnehin keine Herausforderung für Kinder wie Philip darstellt. Aber auch die Regelschule hat ihre Reize. Im Februar 2015 ist Philip zum „Lise-Meitner-Gymnasium“ in Willich-Anrath gewechselt, weil es dort „eine Arbeitsgemeinschaft von ,Jugend forscht‘ gibt, durch die ich an Schülerwettbewerben in Fächern wie Biologie oder Chemie teilnehmen kann“. Aber auch beim normalen Unterricht macht er gerne mit. Und wenn es nur ist, um „den anderen Kindern zu helfen“.

Scheint gut anzukommen: Gerade mal ein paar Wochen in der neuen Schule, hat Philip sich schon mit einem Jungen aus seiner neuen Klasse nachmittags zum Spielen verabredet. Vielleicht wird das ein richtiger Freund, mit dem er durch den Frühling, durch den Sommer toben kann. Bevor sich der Zeitplan für ihn noch enger zuzieht: ab Herbst will das kluge Köpfchen aus Krefeld seine mathematisches Knowhow weiter optimieren – als Schülerstudent für Wirtschaftsmathematik an der Fern-Uni Hagen.