Ein Mann mit wachen Augen, einem langen roten Bart und Sommersprossen im Gesicht läuft mit einem kescherartigen Arbeitsgerät über schmale Dämme zwischen Wasserbecken hin und her. Er nimmt den langen Stock, an dessen unterem Ende eine Auffangschaufel mit Abläufen befestigt ist, zieht ihn knapp unterhalb der Wasseroberfläche von links nach rechts, hebt ihn hoch und prüft den so abgeschöpften Inhalt. Langsam geht die Sonne unter. Gelbe, orange und rote Farben tünchen das Szenario in ein fast surreales Gemälde. Gerüche von Flieder, dem angrenzenden Atlantik und den aufströmenden Mineralien wabern umher. Wollte man die Schönheit der Erde im Einklang mit dem Menschen in nur einen Moment fassen, so wäre hier der richtige Ort zur richtigen Zeit. Die fast orgiastische Flut von Sinneseindrücken steht einer Ruhe entgegen, die wohl nur am Nordpol noch reiner seien könnte.
Der Mann mit der ansteckenden Lache und dem fröhlichen Naturell ist Moritz Lübbers, die Becken, durch die er seinen „Kescher“ zieht, sind Salinen. Moritz Lübbers ist ein waschechter Krefelder. Aufgewachsen ist er auf einem umgebauten Bauernhof am Stadtrand. Er ging in Krefeld zur Schule, machte dort sein Abitur. Gleich hier enden die Parallelen zu einer „normalen“ Vita, die bei den meisten Menschen in einer festen beruflichen Anstellung und der Gründung einer Familie mündet. Moritz ist anders. Schon immer zog es den naturbegeisterten Freigeist in die Ferne. Moritz ist getrieben von der Begeisterung für andere Menschen, andere Länder, andere Sitten, andere Lebenswelten und -entwürfe. Schon als Jugendlicher kratzte er sein gesamtes Geld zusammen, um durch die Welt zu reisen. Mal ging er spontan nach Italien, mal für mehrere Monate nach Thailand und Nepal. Trotz seines unbändigenden Fernwehs hat Moritz in Krefeld seinen Heimathafen. Hierher kam er schon damals immer wieder zurück, wenn er festen Boden unter den Füßen brauchte. Hier schöpfte er Kraft für neue Entdeckungsreisen. Die USA, Kanada, Südamerika, fast ganz Europa und viele Teile Asiens hat er bereits erkundet. Mit einem Land verbindet ihn allerdings eine ausgeprägte Liebe: Frankreich. Viele seiner Freunde kommen hierher, und auch sein aktuelles Glück hat er in der Geburtsstätte von Croissants, Baguettes und der Haute Couture gefunden. Der Weg dorthin mag allzu sicherheitsbezogenen Gemütern aberwitzig erscheinen. Für Moritz war er allerdings alternativlos.
Just in dem Moment, als ihm ein fester Arbeitsvertrag unterbreitet wird, zieht er die Reißleine. „Alles war fertig“, sagt er und lacht, „Stift und Vertrag lagen vor mir, aber ich konnte nicht unterschreiben. Ich wusste, wenn ich das jetzt mache, dann steck‘ ich da fest. Das wollte ich einfach nicht.“
„Ich musste meinem inneren Drang, die Welt zu erleben, einfach stattgeben“, erklärt er am Ende einer langen Arbeitstages mit sonnengeröteter Haut und aufgeschürften Händen. „Anders wäre ich sicherlich nicht glücklich geworden.“ Moritz ist keinesfalls ein antikapitalistischer Leistungsverweigerer, der stets mit dem Joint im Gepäck die meisten Sonnenstunden im Jahr zu erhaschen versucht. Ganz im Gegenteil. Erst studierte er Biologie, was er allerdings wegen des ungeahnt großen Mathematikanteils abbrach, danach versuchte er vergeblich eine Ausbildung als Schiffsmechaniker zu beginnen, ehe er Sozialpädagogik studierte; mit Abschluss. Lange Jahre arbeitete er während seines zweiten Studiums bei der Lebenshilfe in Krefeld, wo er sich um behinderte Kinder kümmerte. Oft fühlte sich Moritz hin und hergerissen zwischen der Vorstellung eines Lebensentwurfes in klassischen geregelten Bahnen und dem Drang, die Welt zu entdecken und etwas zu machen, das man weder während einer schulischen Berufsorientierung erfahren, noch im Leistungsspektrum des Arbeitsamtes finden kann. Just in dem Moment, als ihm ein fester Arbeitsvertrag unterbreitet wird, zieht er die Reißleine. „Alles war fertig“, sagt er und lacht, „Stift und Vertrag lagen vor mir, aber ich konnte nicht unterschreiben. Ich wusste, wenn ich das jetzt mache, dann steck‘ ich da fest. Das wollte ich einfach nicht.“ Was er wirklich wollte, war, zusammen mit französischen Freunden einen alten Bauernhof für tiergestützte Sozialpädagogik umzubauen. „Das haben wir dann auch gemacht, nur leider wurde dieser von den Behörden geschlossen. Meine Freunde hatten vergessen, dass der bloße Eigentumserwerb in Frankreich nicht bedeutet, dass man dort auch wohnen darf. Das muss extra beantragt werden“, erklärt Moritz gleichzeitig kopfschüttelnd und lachend, ehe er ergänzt: „Danach bin ich für zwei Jahre nach Kanada gegangen, wo ich auf einem Gestüt arbeitete. Auch das war ein prägendes Erlebnis für mich.“
Zurück in Deutschland stellt sich anschließend die Frage ein, wie es weitergehen soll. Mit Hilfe der sozialen Medien nimmt Moritz Kontakt auf zu alten Freunden und Wegbegleitern aus der ganzen Welt. „Dann meldete sich Eva“, erinnert sich der 33-Jährige. „Eva hatte ich in Mexiko kennengelernt, eine Französin, wie sollte es auch anders sein, aus Guèrande. Vor Jahren hatte ich schon einmal Guèrande besucht, deswegen hatten wir gleich eine gute Verbindung zueinander. Als ich ihr von meiner damaligen Situation erzählte, sagte sie im Scherz zu mir: ‚Komm doch zu uns und hilf bei der Salzernte‘. Ohne groß nachzudenken, habe ich eingewilligt. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde, und jetzt sitzen wir hier.“ Diese fast fatalistisch erscheinenden Übergänge bilden einen roten Faden in Moritz‘ Leben. Für jede Tür, die sich schließt, öffnet sich eine neue; nicht irgendeine, sondern die richtige.
Im Mai 2014 tritt Moritz durch sie hindurch und schlägt das neue, bis heute andauernde Kapitel seines Lebens auf. Völlig unbedarft setzt er sich seinerzeit ins Auto und fährt rund 1.000 Kilometer in die Kleinstadt im Atlantik. Was Salinen sind, weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich, wie hart die Arbeit als Paludier, also als Salzbauer, sein würde, kann er so schwerlich erahnen. Am Anfang trifft er Charles, seinen Chef, dessen Familie seit Hunderten von Jahren im Salzgeschäft beheimatet ist. Er erklärt ihm, worauf es ankommt, weist ihn Stück für Stück in eine Arbeit ein, die zu den ältesten der Menschheitsgeschichte gehört. Bereits vor 2.000 Jahren haben Menschen auf diese Weise Salz geerntet. Das Verfahren hat sich in dieser Region bis heute kaum verändert. Zwischen der Landzunge von Pen Bron und der Küste von Le Croisic strömt bei Flut Wasser vom Atlantik in eine von der Natur geformte Bucht. Diese bildet ein riesiges Speicherbecken, das die Salinenlandschaft von Guérande speist. Von der Bucht aus versorgen große Kanäle, die étiers, das Salinengebiet im Wechsel der Gezeiten mit Wasser. Über ein verzweigtes Kanalsystem wird dieses über viele Zwischenstationen in die Erntebecken geleitet. Je nach Sonnenstand und Verdunstung kann hier morgens grobes Meersalz und abends Fleur de Sel – das weiße Gold – geerntet werden. „Um das richtig hinzubekommen und keine Fehler zu machen, musste ich mich mächtig anstrengen. Zum Glück ist Charles ein nachsichtiger und sehr freundlicher Chef, der mir jeden Fehler verziehen hat“, sagt Moritz und schmunzelt. Drei Monate, also eine ganze Saison, verbringt Moritz in seinem ersten Jahr in Guèrande. Wohnen kann er in dieser Zeit in einem kleinen Steinhaus von Eva und ihrem Mann, die zu dieser Zeit auf Festivals unterwegs sind und Hängematten vertreiben. Alle seine Nachbarn sind Salzbauern, sie leben dort wie in einer Kommune. „Der soziale Anschluss hier war für mich ein großer Faktor, um hier zu bleiben“, gibt der Erntehelfer zu und erklärt anschließend, wie er bezahlt wird: „Entweder ich lasse mich für meine Dienstleistung mit Geld auszahlen oder mit Salz. Das sind die Möglichkeiten.“
„Ich musste meinem inneren Drang, die Welt zu erleben, einfach stattgeben… Anders wäre ich sicherlich nicht glücklich geworden.“
Inspiriert von einer Geschichte über eine Hamburgerin, die Salz aus Guèrande auf Märkten in Norddeutschland verkauft, wächst in Moritz der Unternehmergeist. „Als ich von den Gewinnspannen hörte, dachte ich mir: Das kannst du auch! Also ließ ich mir mein gesamtes Gehalt der ersten Saison in Salz auszahlen. Mit 400 Kilogramm Salz im Gepäck kehrte ich also nach Krefeld zurück und präsentierte Marcel, meinem heutigen Mitarbeiter, die Idee. Der war zum Glück gleich Feuer und Flamme und half mir, das Geschäft, den Onlineversand, die Homepage und die Vertriebswege aufzubauen“, erklärt Moritz die rasante Entwicklung vom Erntehelfer zum Unternehmer. „Heute verkaufen wir das von mir gewonnene Salz nicht einfach nur, sondern verarbeiten es zu Gewürzsalzen weiter. Auch Bonbons mit Salz haben wir mit einem Partner entwickelt.“ Der Name des Unternehmens „Sel la vie“ ist in Anlehnung an die französische Redewendung „C’est la vie“ – so ist das Leben – entstanden und lässt sich sowohl buchstäblich als auch metaphorisch interpretieren.
Mit der Existenzgründung ist die Beschaulichkeit zu großen Teilen aus Moritz‘ Leben gewichen. Drei Monate im Jahr schöpft er grobes und feines Meersalz in Frankreich. In den anderen neun Monaten vermarktet und vertreibt er seine daraus entwickelten Produkte von Krefeld aus. Oft fährt er dazu auf Märkte, wo er potentiellen Kunden authentisch von seinen Erlebnissen in den Salinen berichtet. Daran habe er ebenfalls große Freude. Unternehmerische Pflichten wie Buchhaltung und Steuererklärungen sind nun allerdings auch Teil seines Alltags. Umso mehr freut sich der Freigeist, wenn er nach dem Heimataufenthalt wieder nach Frankreich fährt, um einsam in den Salinen Salz zu schöpfen. Tief eingetaucht in dieses malerische Szenario und absolut im Einklang mit der Natur erlebt er das, was er wohl niemals wieder aufgeben möchte: Meditation, Ausgeglichenheit und tiefempfundenes Glück. C’est la vie!
KR-ONE in Guérande, Bretagne
Um ein wahrhaftiges Verständnis für Moritz Lübbers Arbeit in den Salinen Guèrandes zu bekommen, haben wir uns selbst auf den Weg in die Küstenregion der Bretagne gemacht. Dort wurden wir Stück für Stück in das uralte Handwerk eingewiesen. Mit blanker Muskelkraft haben wir das grobe Salz geerntet, mit filigranen Bewegungen konnten wir das Fleur de Sel abschöpfen. Am Ende unserer Dreitages-Reise haben wir uns selbst ein bisschen wie Salzbauern gefühlt; und so ist uns eine Idee gekommen:
ein eigenes KR-ONE-Salz, natürlich in Zusammenarbeit mit Sel la Vie.
Nach zahlreichen Geschmacksproben ist unsere Wahl auf das „Algomasio-Salz“ gefallen, eine Würzmischung, bestehend aus geröstetem Sesam, Algen und natürlich Fleur de Sel. Es schmeckt unglaublich lecker und eignet sich hervorragend zum Würzen von Salaten, Fischgerichten und zum Verfeinern von Süßspeisen wie z.B. Vanille-Eis. Im typischen KR-ONE-Gelb ist das Salz in Kürze bei Liesgen, Max und Moritz, im Nahkauf auf der Peter-Lauten-Straße und im Online-Shop von Sel la Vie (www.sellavie.eu) zu erwerben.
Gros Sel – Das grobe MeerSalz
Ist der Salzgehalt im Wasser der Kristallisationsbecken ausreichend hoch, bilden sich auf den Böden Salzkristalle. Das grobe Meersalz, das Gros Sel, entsteht. Der Salzbauer erzeugt mit Hilfe eines speziellen Gerätes, das aus einem an einer vier Meter langen Stange befestigten Brett besteht, eine Wasserwelle. Diese treibt die Salzkristalle an den Rand einer runden Ausbuchtung des Beckenrandes. Dort zieht er sie dann heraus auf diese Ausbuchtung. Nun trocknet das Salz einen Tag in der Sonne, bevor es mit einer Schubkarre zum Rand der Saline gebracht wird. Das geerntete Salz türmt sich im Laufe eines Sommers zu mächtigen Salzbergen. Sie sind die Visitenkarte des Salzbauern. Je größer sie sind, desto erfolgreicher hat er das Wetter und seine Saline gemeistert.
Fleur de Sel – Die Blume des Salzes
Fleur de Sel, dieses von Natur aus feine und strahlend weiße Meersalz, macht selbst in den besten Sommern nur etwa vier Prozent der gesamten Ernte aus. Es bildet sich nur bei optimalen Wetterverhältnissen. Das heißt: Viel Sonne, niedrige Luftfeuchtigkeit und ein Wind, der weder zu stark noch zu schwach sein darf. Denn der Wind bläst die feinen, nahe der Oberfläche schwebenden Salzkristalle zusammen, was eine eisähnliche Schicht erzeugt. Ist der Wind zu kräftig oder wird das Wasser im Erntebecken unvorsichtig bewegt, kann diese Schicht zu Boden sinken. Dann verbindet sich das Fleur de Sel unwiederbringlich mit dem Gros Sel.