Als im Mai 1966 ein fünf Meter langer Beluga-Wal im graubraunen Rhein bei Duisburg auftauchte, war die Aufregung groß. Man versuchte, ihn mit Tennisnetzen zu fangen, und ein Zoodirektor namens Gewalt, wollte ihm gar mit einer Betäubungspistole auf den Leib rücken. Aber der verirrte Meeressäuger ließ sich nicht fangen – schwamm einmal bis zum Ijsselmeer und zurück, um in Bonn eine Nato-Konferenz zu sprengen. Nach vier Wochen Rummel verschwand er wieder in Richtung offenes Meer. Heute, über 52 Jahre später, wäre diese Episode vielleicht längst vergessen, würde nicht immer wieder einmal in den Medien daran erinnert – und würde ein kleines Puppentheater im beschaulichen Hüls diesen frühen Helden des Tierschutzes nicht regelmäßig auf die Bühne bringen. „Der Wal im Rhein“ ist eines der Stücke, die Stella Jabben und Volker Schrills für Erwachsene konzipiert haben. In weiteren Inszenierungen geht es um einen „wunderbaren Massenselbstmord“, der dann doch nicht stattfindet, um Willi auf´m Mond und – wieder ein Wal – Moby Dick, der aber hier als Metapher für die unausrottbare menschliche Gier nach Aufregung dient.
„Etwa 50 Prozent unserer Aufführungen richten sich an Erwachsene und ältere Jugendliche, was viele erst einmal verwundert, da Puppentheater immer noch vor allem mit Kasperletheater für Kinder in Verbindung gebracht wird“, erklärt Puppenspielerin Jabben. Dabei ist Puppen- oder Figurentheater eine uralte Kunstform, die in der Antike zunächst für die Darstellung religiöser Inhalte eingesetzt wurde. In der Folge entwickelte sich eine vielfältige Puppenspielkultur vom Shakespearschen England bis zum kaiserlichen Japan. Nicht selten, wie zum Beispiel in der Sowjetunion, wurden Puppen auch zu Propagandazwecken eingesetzt. Auch in der DDR gab es in fast allen Bezirken Puppenspielensembles mit festen Spielstätten. Mangels staatlicher Subventionen sahen sich Stella Jabben und Volker Schrills lange Zeit gezwungen, als Wanderschauspieler durch die Republik zu reisen – genauer gesagt, waren sie zwei Ein-Personen-Tourneetheater, denn einer der beiden musste schließlich immer auf die Kinder aufpassen.
Da traf es sich gut, dass 2005 an der Tönisberger Straße ein blaues Gebäude mit ehemaliger Gaststätte leer stand. „Eigentlich dachten wir damals gar nicht daran, ein festes Puppentheater einzurichten“, erinnert sich Stella Jabben und ergänzt: „Was wir brauchten, war ein Haus, das groß genug für Wohnung, Werkstatt, Lager und vielleicht noch einen Probenraum war. Aber das Objekt passte so ideal, dass wir gar nicht anders konnten, als ein Theater zu eröffnen.“ Bevor die beiden in Hüls Menschen mit ihrer Spielkunst begeistern konnten, galt es aber erst einmal, eine fünfjährige Bauphase zu bewältigen. Lange Zeit lebten die beiden im Obergeschoss über einer Baustelle und fuhren zum Puppenspielen weiterhin durch die Lande. Doch im Herbst 2010 war es dann soweit: Das „Theater Blaues Haus“ konnte seine Pforten öffnen. Heute bietet der Vorführungssaal Platz für etwa 70 erwachsene Zuschauer oder ein paar mehr Kinder, die im achten Jahr der Theatergeschichte zwischen 18 unterschiedlichen Stücken wählen können.
„Jetzt wo unsere eigenen Kinder größer sind, stehen wir manchmal auch zusammen in der Bühne“, erklärt Volker Schrills – und dass vor allem bei Stücken für Erwachsene. Bei Inszenierungen für die Kleinsten, ab drei Jahren, gibt es allerdings meist nur einen Puppenspieler. „Dabei ist uns wichtig, dass die Kinder alle direkt vor der Bühne Platz finden“, betont Stella Jabben. „Deshalb haben wir auch einen Extra-Kindereingang gebaut, damit sich nicht alle Omas und Opas zu ihren Enkeln in die erste Reihe setzen. Außerdem achten wir streng auf die Einhaltung der Altersgrenzen. Kinder unter drei lassen wir nicht vor die Bühne, auch wenn die Eltern betonen, wie ‚weit‘ ihr Kind schon ist. Die ganz Kleinen verstehen nämlich noch nicht so viel, langweilen sich sehr schnell oder bekommen sogar Angst im dunklen Saal zusammen mit so vielen anderen Menschen.“
Neben den offenen Theateraufführungen bietet das Blaue Haus auch Sondervorführungen für Schulen und Kindergärten, und die beiden Puppenspieler sind nach wie vor einige Tage im Jahr außerhalb Krefelds unterwegs. Im Sommer, in den großen Ferien, ist in Hüls grundsätzlich Spielpause. „Da kümmern wir uns auch mal um die eigenen Kinder“, sagt Stella Jabben lächelnd und fügt hinzu: „Außerdem benötigen wir Zeit für Renovierungsarbeiten, Bürokram und das Entwickeln neuer Stücke.“ Die Puppenwerkstatt befindet sich direkt neben dem Foyer im Eingangsbereich des Blauen Hauses. Hier arbeiten Stella Jabben und Volker Schrills an neuen Figuren aus Holz oder Latex. Sein Handwerk lernte der heute 47-Jährige als Figuren-, Masken- und Bühnenbildner im Puppentheater am Düsseldorfer Fürstenplatz. „Eigentlich wollte ich nur hinter der Bühne arbeiten, aber mein damaliger Chef meinte, wer Puppen schnitzt kann auch mit ihnen spielen, und so kam ich unfreiwillig zu meinem Traumberuf“, erinnert sich Schrills.
Dass Puppenspiel ihr Traumberuf sein könnte, war der 49-jährigen Stella Jabben ebenfalls nicht von Anfang an bewusst. Sie studierte Kulturpädagogik und arbeitete als Regie-Assistentin, Zeichnerin, Empfangsdame, Bühnenbildnerin, Bürokraft, Regisseurin, Technikerin und Schauspielerin, also eigentlich als „Mädchen für alles“, wie sie heute sagt. „Zum Figurentheater kam ich durch meinen Mann, der bereits Puppenspieler war. Ich erkannte plötzlich, dass das genau die Kombination von Spiel und Kreativität ist, die ich immer gesucht hatte. Mit Puppen kannst du alles sein, ob Mensch oder Tier, Lichtfigur oder sogar Flaschenbürste. Da gibt es im Prinzip keine Grenzen.“ Außer dem Spiel vor begeistertem Publikum genießen die beiden die Vielfältigkeit ihrer Arbeit. „Volker und ich machen fast alles selbst, vom Puppenbau bis zum Kartenverkauf. Nur für die Reinigung des Theaters haben wir inzwischen eine Firma engagiert“, so Jabben. Ihr Mann und Mitspieler ergänzt: „Und für die Regie holen wir uns fremde Hilfe ins Haus. Wir schreiben die Stücke fast komplett selbst, aber wenn der Blick von außen fehlt, siegt irgendwann die Betriebsblindheit.“ Zusammen mit René Linke, der auch für das Kresch-Theater Regie führt, arbeiten die beiden gerade an einem Stück für Erwachsene, das auf einem bekannten Roman basiert. Mehr sei hier allerdings noch nicht verraten.
Theater Blaues Haus
Tönisberger Straße 64, 47839 Krefeld- Hüls
Tel.: 02151-5662567
Web: www.theaterblaueshaus.de