Wer die belebte Innenstadt auf der Neusser Straße durchquert, passiert eine Vielzahl zusammengewürfelter Ladenlokale, Gastronomien und Salons. Zwischen all den bunten Geschäftsschildern, Auslagen und Leuchtreklamen fällt die beige 60er-Jahre-Fliesenfront des alten Stadtbades kaum auf. Und noch weniger lässt sie erahnen, was sich hinter ihr verbirgt: Ein einstiger Prachtbau, der nach knapp 20 Jahren Leerstand nur darauf wartet, wieder mit Leben gefüllt zu werden. Dieser Aufgabe hat sich vor rund zwei Jahren eine kleine Gruppe junger Krefelder angenommen, die heute den Vorstand des freischwimmer e.V. bilden.
„Krefeld ist eine Planstadt der 70er Jahre. Die funktioniert heute nicht mehr so, wie es damals gedacht war. Die City ist aktuell Einkaufs- und Wohnstadt. Wir sind dabei, zu ermitteln, was der Ort zwischen diesen Bereichen noch braucht“, erklärt Politikberater und Initiator Marcel Beging. „Den Bürgern fehlt aktuell noch die Identifizierung mit ihrer Innenstadt. Wenn man die aufbauen will, muss man aber erstmal einen Ort haben, der als Katalysator dienen kann, wo sich die Leute als Krefelder fühlen.“ Das alte Stadtbad zu diesem Zweck zu revitalisieren, wurde im Sommer 2018 zum Plan. Die 1890 eröffnete Badeanstalt an der Neusser Straße galt einst als absolutes Vorzeigeobjekt. Auf mehreren tausend Quadratmetern befinden sich hinter der schlichten Nachkriegsfassade neben zwei großen Schwimmbecken auch diverse Wasch- und Wellnessräume, ausgeschmückt mit kunstvoll handbemalten Fliesen, Wandgemälden und Stuckaturen. Das Gebäude ist in den vergangenen Jahren von Flora und Fauna erobert und durch Witterung und Vandalismus stark angegriffen worden. Dennoch – oder gerade deshalb – obliegt dem alten Stadtbad noch heute ein unbestreitbarer Zauber. „Es gibt keinen Ort, der so viel bietet, und das mitten in der Stadt. Er ist eine Oase, die man einfach nutzen muss“, findet Mats Linger, der ebenfalls zu den Initiatoren des Projekts gehört.
„Es gibt keinen Ort, der so viel bietet, und das mitten in der Stadt. Er ist eine Oase, die man einfach nutzen muss.“
Die freischwimmer sind nicht die ersten mit einer Vision für das Stadtbad – doch alle Revitalisierungsversuche der Vergangenheit, von denen einige vorgesehen hatten, den ursprünglichen Zweck des Bades wiederherzustellen, waren früher oder später gescheitert. „Es gab unterschiedlichste Gründe, warum es vorher nicht geklappt hat, das Bad wiederzubeleben. Da kann man auch keine Schuld zuweisen“, findet Marcel Beging. Da sich die Dimension des Geländes dem Außenstehenden nicht ansatzweise erschließe, sei die erste Maßnahme des freischwimmer e.V. eine Öffnung des Gebäudes für Besucher gewesen. „Wer das Bad einmal ganz begriffen hat, wird unseren Ansatz, das Bad multifunktional zu entwickeln, gut nachvollziehen können. Eine Nutzung alleine entspricht nicht mehr den Bedürfnissen einer Stadtgesellschaft. Das zeigt auch die aktuell in Auswertung befindliche Umfrage. Wir suchen nach neuen Möglichkeiten und wollen gemeinsam Wert schaffen“, erläutert Beging. Frei nach dem Motto ‚Gemeinsam gestalten statt überplant werden‘ waren die Krefelder von Anfang an gefragt, ihre persönlichen Wünsche und Visionen an die freischwimmer heranzutragen und so ein Konsens-Modell für die weitere Entwicklung des Areals zu schaffen, zu dem neben dem weitläufigen Inneren auch ein geräumiger Außenbereich inklusive zweier Schwimmbecken gehört. „Es liegen schon so viele Stimmungsbilder auf diesem Ort. Diejenigen, die das Bad noch zu seinen ‚aktiven‘ Zeiten erlebt haben, verbinden die unterschiedlichsten Erlebnisse damit. Dadurch, dass wir die Leute nach jahrelanger Schließung wieder hier reinlassen, kommen diese Erinnerungen und Assoziationen wieder zum Vorschein“, beschreibt Initiatorin und Vorstandsmitglied Katrin Mevißen. „Neulinge“ ihrerseits werden beim Besuch des Stadtbads von dessen verwunschener Atmosphäre überrascht. „Wir merken, dass die Bürger ziemlich gute Ideen haben und wissen, was sie wollen. Die kennen ihre Bedürfnisse ja am besten“, stellt die Grafikdesignerin fest.
Die Anfänge. Das Jetzt. Die Vision.
Als das Projekt freischwimmer begann, gab es im alten Stadtbad weder fließendes Wasser noch Abwasser oder Stromversorgung. Die Projektgruppe leistete in den vergangenen Monaten Pionierarbeit, inklusive aufgestemmter Teerböden, neuverlegter Rohre und großflächiger Gärtnerarbeiten, die anfangs einer Urwaldexpedition glichen. Aus dem einst vollkommen überwucherten „Garten“ des Stadtbades ist inzwischen ein begeh- und nutzbarer Raum entstanden, und eines der Nebengebäude konnten die freischwimmer zum „Hauptquartier“ umgestalten. Gleichzeitig kümmern sich die Initiatoren um Förder- und Bauanträge. „Wir arbeiten darauf hin, dass hier ein offener und dynamischer Raum entsteht, den man noch weiter gestalten kann. Der Ort wandelt sich jetzt schon stark“, skizziert Marcel Beging zufrieden. Der erste Schritt, eine rege Veranstaltungskultur mit kleiner ehrenamtlich betriebener Gastronomie zu etablieren, ist inzwischen auch geschafft. „Hier können Interessierte immer samstagvormittags etwas essen und trinken und die Möglichkeit nutzen, sich zu informieren“, beschreibt Mats Linger mit Aussicht auf das Ende der Corona-Krise. In den kommenden Monaten soll – abhängig davon, wie sich die Situation entwickelt – ein kulturelles Angebot beginnen.
„Wir merken, dass die Bürger ziemlich gute Ideen haben und wissen, was sie wollen. Die kennen ihre Bedürfnisse ja am besten.”
Aktuell wird der freischwimmer e.V. bereits von verschiedenen lokalen Unternehmen und Vereinen wie Holz Roeren, Veranstaltungstechnik Ilbertz, der Urbanen Nachbarschaft Samtweberei, Kickartz und Faber Druck sowie durch Institutionen wie die Stadt Krefeld, den Rat der Stadt Krefeld und das Land NRW unterstützt. Im Januar wurde die Initiative für ihr Engagement mit dem NRW-Heimatpreis ausgezeichnet und ist seit kurzem offizielles Mitglied im Netzwerk CREATIVE SPACES NRW. Wer selbst auch an der Entwicklung des neuen Herzstücks für Krefeld partizipieren möchte, hat dazu verschiedene Möglichkeiten. „Es gibt nichts, was nicht hilft. Sach- und Geldspenden, aber auch eine Mitgliedschaft in unserem Förderverein bringt uns weiter“, motiviert Katrin Mevißen. „Wir haben bisher jeden in dieses Projekt integrieren können. Wer mitmachen will, ist herzlich eingeladen! Und es wäre natürlich auch schön, wenn man das, was wir hier machen, auf andere Orte in Krefeld reproduzieren könnte.“
Die Fortschritte der vergangenen zwölf Monate zeigen, wie schnell motivierte Hände mit einem gemeinsamen Wunsch einen Wandel bewirken können. Dem Stadtbad drohten Verfall und Vergessenheit. Heute blüht ihm eine Zukunft als Zentrum des kulturellen und gemeinschaftlichen Lebens unserer Stadt. Was den bisherigen Erfolg der freischwimmer-Initiative deutlich macht, bringt Marcel Beging auf den Punkt: „Wenn der unmöglichste Ort möglich wird, dann gibt es keine Ausreden mehr.“