In der Bodelschwingh-Schule lernen die Schüler, ihr Leben zu meistern

Mit feinen Stichen näht Anna (17) zwei buntgemusterte Baumwollstoffe zu einem hübschen Babylätzchen zusammen. Konzentriert arbeitet sie sich Stich um Stich voran, während weitere Schülerinnen den Stoff für moderne Brotsäckchen und bunte Babyhosen zurechtschneiden. Im Textilraum herrscht absolute Ruhe; nur die Nähmaschinen surren. Eine Momentaufnahme aus einer der Berufspraxisklassen der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule an der Alten Flur in Oppum.

 

Anna kam mit 13 Jahren in die von Bodelschwingh-Förderschule für geistige Entwicklung an der Stettiner Straße in Gartenstadt und ist nach der 10. Klasse wie auch ihre Mitschüler in die Berufspraxisstufe nach Oppum gewechselt. Dort werden 65 Schülerinnen und Schüler zwischen 16 und 19 Jahren darauf vorbereitet, ein möglichst eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen. „Unser Bildungsauftrag unter dem Motto ,Stark in die Welt‘ ist Selbstverwirklichung durch soziale Integration“, sagt Schulleiterin Elisabeth Völlings und erklärt: „Wir bilden deshalb ein sehr breites Spektrum aus Arbeiten, Wohnen, Leben und Freizeit ab. Daraus sind zwischenzeitlich sogar zehn florierende Schülerfirmen entstanden, was es so sicher in NRW kein zweites Mal gibt.“ Dass der Stolz der Schulleiterin auf dieses einzigartige Konzept mehr als berechtigt ist, beweist ein Rundgang durch die Schule, in der sich 13 Sonderpädagogen gemeinsam im Team mit Fachlehrern und Sozialpädagogen über das normale Maß hinaus mit großer Leidenschaft und Kreativität engagieren und so eine Vision von Schule leben, dieVorbildcharakter hat.

 

Schon beim Durchschreiten des Schultores erleben Besucher den praxisnahen Ansatz. Eine Motorsäge brummt, und ein junger Mann in Sicherheitskleidung viertelt Buchenholz mit einer Spaltaxt. Andere Schüler mit motorischen Einschränkungen nutzen einen Hydraulikspalter oder stapeln die Scheite im Trockenlager sorgfältig aufeinander. Brennholz ist zurzeit sehr gefragt. Die Stämme kommen übrigens von einem Waldstück bei Willich, das die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald verwaltet. „Wir schneiden dort das Holz, das sonst niemand abholen würde“, erläutert Gunnar Bründt, der die Arbeitsgruppe „Forstwirtschaft-Brennholz“ unterrichtet. Viele Kunden im Krefelder Stadtgebiet und darüber hinaus nehmen den Dienst der Brennholztruppe gerne in Anspruch, auch wenn das Stapeln vor Ort vielleicht ein bisschen länger dauert als bei professionellen Kaminholzauslieferern. Auch Christina und Bernd Houben aus Hüls beziehen ihr Brennholz regelmäßig von der Bodelschwinghschule und sind sehr zufrieden: „Die Jugendlichen sind supernett und stapeln das Holz topp. Außerdem freuen wir uns, wenn wir die Schule so finanziell unterstützen können“, sagt Christina Houben. „Uns ist es wichtig, dass die Schüler alles selbst machen“, betont Schulleiterin Elisabeth Völlings und nennt weitere Beispiele wie den Obst- und Gemüseanbau sowie die Blumenanzucht im schuleigenen Gewächshaus.

Schulleiterin Elisabeth Völlings: „Unser Bildungsauftrag ist Selbstverwirklichung durch soziale Integration.“

 

 

„Unser oberstes Ziel ist es, Inklusion voranzutreiben. Das passiert durch Kontakte und Netzwerke zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.“

 

 

 

 

 

 

Während Primeln und Stiefmütterchen in der Nachbarschaft und auf verschiedenen Wochenmärkten verkauft werden, wandern Kartoffeln, Zucchini, Tomaten und Äpfel in die Töpfe und Pfannen der Schulküche. Schüler der Berufspraxisstufe „Großküche“ bereiten dort unter Anleitung einer Köchin und zwei Sonderpädagogen jeden Tag hochwertige leckere Mittagessen für Mitschüler und Lehrer vor – immerhin rund 80 Portionen. Bodelschwinghschüler Mahmut hat seine Arbeit so gut gemacht, dass er zurzeit ein Langzeitpraktikum in der Hülser Bergschänke absolviert und sich vorstellen kann, später in einer Restaurantküche zu arbeiten. Keine Seltenheit, wie Elisabeth Völlings zu berichten weiß: „Regelmäßig gelingt es uns, Schüler über Praktika in sozialintegrierte Arbeitsplätze zu vermitteln. In den letzten Jahren haben so Schüler direkt nach der Schule ihre Arbeit zum Beispiel im Krefelder Zoo, in Kindergärten, in einer Integrativen Fahrradwerkstatt und in einem Integrationscafé angetreten. Aktuell bereitet sich ein Schüler auf eine Anstellung bei der Tiefbaufirma Kickartz vor.“ Mit dem Unternehmen, das sogar die integrative Betriebsabteilung „Kickartz Grün“ gegründet hat, unterhält man eine Schulpartnerschaft. Allen anderen Schülerinnen und Schülern ist ein Arbeitsplatz in den Krefelder Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sicher.

Bodelschwingh-Schule

Jan kontrolliert den Wuchs der Hornveilchen im schuleigenen Gewächshaus

Auch eine Fahrradwerkstatt findet man auf dem Schulgelände. Vor allem Bürger aus der Nachbarschaft und der angrenzenden Kleingartenanlage nehmen diesen Dienst der Bodelschwinghschüler gerne in Anspruch. Gleiches
gilt für die Wäscherei. Hier kann jeder Mangel- und Bügelwäsche abgeben. Dass auch sämtliche Wäsche, die in der Schule anfällt, hier gewaschen und gebügelt wird, versteht sich von selbst. Auffällig ist das Nebeneinander von Industriewaschmaschine und Haushaltswaschmaschine, von Industriebügeleisen und normalen Bügeleisen. Elisabeth Völlings klärt auf: „Wir fahren bewusst zweigleisig. Einerseits sollen die Schüler das selbständige Arbeiten im Haushalt lernen, andererseits auf eine mögliche Arbeit vorbereitet werden. Wichtig ist uns, dass jeder nach seinen Fähigkeiten mitarbeiten kann und seinen Platz in der Arbeitsgruppe findet. Wer nicht bügeln kann, faltet eben Wäsche. So wird auch in der Gruppe Inklusion gelebt.“
Der Rundgang führt weiter in die Keramikwerkstatt, in der wunderschöne Pilze und mediterran anmutende Schalen für verschiedene Weihnachtsbasare und den Besonderen Weihnachtsmarkt an der Alten Kirche gefertigt werden. In der Schreinerei entstehen Sitzbänke, Strandstühle und Wurfspiele. „Die Produkte gehen weg wie warme Semmeln“, freut sich die Schulleiterin und ergänzt: „Wir werden oft gefragt, warum wir nicht mehr für unsere Textil- und Keramikprodukte oder unsere Möbel werben. Aber wir können keine Massenproduktion leisten, weil dann unser pädagogischer Ansatz verloren gehen würde, wonach die Schüler alles selbst machen sollen.“

Alles selbst machen die Schüler auch in der Arbeitsgruppe Büro, wo sie den Umgang mit PCs, iPads und dem Kopierer lernen. So entstehen schulinterne Visitenkarten, Werbeschilder, Serienbriefe, Flyer und die Aushänge mit den wöchentlichen Speiseplänen. Auch die Kaffee-Abrechnungen für das Lehrerkollegium übernimmt die Bürotruppe, auf deren Service übrigens alle anderen Schülerfirmen zurückgreifen können. Gewinn wird in dieser Gruppe zwar nicht gemacht, aber das ist egal, denn die Erlöse der einzelnen Arbeitsgruppen fließen in einen gemeinsamen Topf, von dem notwendige Anschaffungen getätigt werden wie aktuell der Kauf eines neuen Gerätehauses für den Garten- und Landschaftsbau. Neben den Arbeitslehregruppen, von denen die Jugendlichen von montags bis freitags, je nach persönlichem Interesse, mehrere durchlaufen, existieren Freizeit- und Lerngruppen. Hier werden Schülerinnen und Schüler mit schwersten Behinderungen besonders gefördert ebenso wie Schüler mit Sprach-, Lese und Rechtschreibschwächen oder eingeschränkten motorischen Möglichkeiten.
Es gibt einen Fitnessraum, musikalische Angebote oder die Gelegenheit, einen Fahrrad- oder Mofaführerschein zu machen. Alle zwei Wochen geht es zum Klettern ins Okidoki-Land. Die 17-jährige Anna nimmt zum Beispiel begeistert an der Tanz-AG teil, absolviert den Sanitätsdienst und nutzt das Angebot „Mobilität“. Dabei lernen die Schüler, sich selbständig im Straßenverkehr zu bewegen, Fahrpläne zu studieren und kleinere Besorgungen zu machen. Alles mit dem Ziel, stark und selbstbewusst in die Welt zu gehen. Anna hat in den vergangenen
Jahren bereits viel fürs Leben gelernt und ist eine glückliche Schülerin: „Ich bin hier sehr gerne, weil die Gruppen klein und die Lehrer nett sind. Auch das Mittagessen schmeckt sehr lecker. Das bereite ich auch regelmäßig selbst mit zu.“ Diesem Fazit ist nichts mehr hinzuzufügen.

 

Bodelschwingh-Schule
Alte Flur 21, Krefeld
Telefon: 02151-652090
Mail: mail@bodelschwinghschule-krefeld.com
Web: www.slfvb.krefeld.schulen.net/

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Vernetzung im Stadtteil voranbringen

 


Im Frühjahr ist das jüngste Projekt, „Schule trifft Nachbarn“, gestartet. „Ziel ist es, die Vernetzung zwischen Schule und Bürgerschaft voranzubringen und gleichzeitig das Selbständigkeitstraining der Schüler weiter zu professionalisieren“, erklärt Sozialpädagogin Andrea Eichholz. Gemeinsam mit Sonderpädagogin Nicole Krämer hat sie dieses Projekt auf den Weg gebracht, das von den Schülern organisiert und durchgeführt wurde. Der Einladung zum ersten Nachbarschaftscafé folgten mehr als ein Dutzend interessierte Anwohner. Für viele war dies der erste Kontakt zu einer Förderschule. Bei einem entspannten Frühstück konnte man sich kennenlernen, und es wurde dabei auch der Bedarf an haushaltsnahen Diensten in der Nachbarschaft abgefragt. „Unsere Schüler könnten zum Beispiel gegen einen Obolus das Fensterputzen oder Rasenmähen übernehmen oder einkaufen gehen“, sagt Andrea Eichholz. Zum nächsten Nachbarschaftscafé in der Bodelschwingh-Schule 
am Freitag, 25.Januar 2019, zwischen 10.30 und 12 Uhr sind die Anwohner der Alten Flur in Oppum wieder herzlich eingeladen. 

 

Und wer mit einer Spende dazu beitragen möchte, dass der geplante Theaterraum samt Licht- und Tontechnik bald fertig wird, kann das natürlich auch tun: Förderverein Bodelschwingh-Schule, Sparkasse Krefeld