Über die Bedeutung von Floskeln und Phrasen
Bei der ersten Verabredung mit meiner Lebensgefährtin redeten wir über unsere Hobbys, den Beruf, die Kinder, und ich machte ihr immer mal wieder ein hübsches Kompliment. Am Ende war ich mir sicher, sie wiedersehen zu wollen.
Um diesem Wunsch Nachdruck zu verleihen, begann ich den nächsten Satz mit den Worten: „Jetzt aber mal ehrlich! Ich würde Sie gerne mal wieder treffen.“ „Jetzt aber mal ehrlich“ ist eine Floskel, die viele von uns benutzen, wenn wir bei unserem Gegenüber eine erhöhte Aufmerksamkeit bewirken wollen. Dabei ist sie töricht, denn sie bedeutet doch, dass alles vorher Gesagte großer Humbug war. Meine Partnerin jedenfalls reagierte irritiert, und in der nächsten Viertelstunde habe ich mir gewünscht, ich hätte meine Bitte besser so formuliert: „Jetzt mal Butter bei die Fische! Wollen wir uns wiedersehen?“ Genauso bekloppt, aber weniger verfänglich.
Unsere Sprache ist voll von daher geplapperten Seltsamkeiten. Da ist die zwielichtige Phrase „Ich will ja nichts gesagt haben, aber…“, die gerne von Menschen benutzt wird, die für das von ihnen Gesagte nicht zur Rechenschaft gezogen werden wollen. Stellen sie sich vor, sie sind Angeklagter in einem Mordprozess und der Richter faselt was von: „Ich will ja nichts gesagt haben, aber ich verurteile sie zu einer lebenslänglichen Haftstrafe!“ Wir laufen uns im Supermarkt mit vollen Einkaufswagen über den Weg und begrüßen uns allen Ernstes mit den Worten: „Was machst Du denn hier?“ Ja geht’s denn noch? Sind wir erleichtert, fühlen wir uns reflexartig mit den Skandinaviern verbunden und brüllen: „Alter Schwede, das war knapp!“
Ich erinnere mich an einen Fußballspieler, der nach einem Herzschlagfinale in die Fernsehkamera hechelte: „Das war ganz großes Tennis!“ Da fragt man sich doch, was der in der Halbzeitpause geraucht hat. Wir verabschieden uns mit nebulösen Bemerkungen wie „Bis die Tage“ oder „Lass uns mal telefonieren“, und wenn wir unserem Gesprächspartner mal so richtig den Schuh aufblasen wollen, heucheln wir Harmlosigkeit mit einem einleitenden: „Nix für ungut, aber…“ Und die Jugendsprache wird neuerdings von Ahnungslosigkeit und fehlender Wirklichkeit beherrscht, denn ich höre immer öfter so etwas wie: „Keine Ahnung, keine Ahnung, aber ich bin mir sicher, dass – aber nein, nicht wirklich.“ Ja was denn nun? Unsinnig auch der gern genommene Spruch „Es gibt keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten.“ Natürlich gibt es dumme Fragen. Denken wir nur an die vielen Gewinnspiele im Privatfernsehen, wie z. B. „Rufen Sie jetzt an und gewinnen 5000 Euro, wenn sie folgende Frage beantworten können: Wie heißt der Oberbürgermeister von Krefeld A) Frank Meyer oder B) Helene Fischer.“
Und ist es nicht ein erhebendes Gefühl, wenn dein Chef dir einen Verbesserungsvorschlag mit der sinnfreien Begründung: „Das haben wir noch nie so gemacht!“ über den Haufen wirft? Menschen, die dir nach einem Misserfolg besserwisserisch ein breites: “Siehste!” um die Ohren hauen, beweisen damit eigentlich nur, dass sie sich dir überlegen fühlen wollen. Bestimmte Floskeln haben somit auch etwas Gutes. Sie deuten an, welch einem Charakter man da gerade begegnet und mahnen zu erhöhter Wachsamkeit. So verbirgt sich hinter einem niedlichen: „Haste mal ‚nen Moment?“ häufig ein monströses Anliegen, das dich unter Umständen mehr Zeit, Geld oder Energie kostet, als es dir lieb ist. „Stimmt’s oder hab ich Recht?“
Ihr Wolfgang Jachtmann