„Das Geheimnis des Edwin Drood“ heißt ein interaktives Krimi-Musical nach einem Roman von Charles Dickens, das am 14. Februar am Theater Krefeld Premiere hat. Die Titelpartie wird von der Wahlkrefelderin Gabriela Kuhn gespielt, die sich mit viel Herzblut auf ihre „Hosenrolle“ vorbereitet – sogar joggend durch die Bockumer Parks. Die KR-ONE ist mitgelaufen.
Tapp, tapp, tapp, tapp. In gleichmäßigem Rhythmus bewegen sich ihre Füße in Laufschuhen über den Erdboden. Vor ihrem Mund hat sich eine kleine Atemwolke gebildet, ihre Wangen sind gerötet. Ansonsten macht Gabriela Kuhn einen fast entspannten Eindruck, wie sie da durch den Schönwasserpark in Krefeld-Bockum joggt; man merkt, dass sie eine ist, die regelmäßig läuft – aber nicht, um für einen Marathon zu trainieren. Sondern weil die Stimmbänder danach „immer so gut in Schuss“ sind – Warmlaufen für die nächste Probe.
Gabriela Kuhn ist Sängerin für Musical und Oper. Ab Februar wird Kuhn, die seit der Spielzeit 2010/2011 dem Musiktheaterensemble des Theaters Krefeld und Mönchengladbach angehört, die Hauptrolle in „Das Geheimnis des Edwin Drood“ spielen, einem Krimi-Musical unter musikalischer Leitung von Andreas Fellner nach dem letzten Werk des britischen Schriftstellers Charles Dickens. Termin für die Premiere am Theater Krefeld ist der 14. Februar. Nur noch wenige Wochen. Die Proben laufen auf Hochtouren.
Tapp, tapp, tapp, tapp. Kuhn biegt um eine Kurve, läuft über eine gebogene weißgetünchte Holzbrücke, die über einen Teich führt. Die Sonne malt gelbe Kringel auf das Wasser, in dem sich die Zweige einer Trauerweide spiegeln. Zwei Wildgänse fliegen schnatternd über die Bäume des Parks. Kuhn atmet durch.
Die Künstlerin war in ihrem Leben eigentlich ständig unterwegs. Gesang und Tanz hat die gebürtige Münchnerin an der Musikhochschule Würzburg studiert, danach folgten Engagements unter anderem in Lüneburg, Pforzheim, Lübeck, Basel, Zürich, Wien. Zwischen 1997 und 2010 war sie im Ensemble am Schleswig-Holsteinischen Landestheater engagiert.
Direkt im Anschluss der Umzug nach Krefeld, eine Stadt, die ihr rasend schnell ans Herz wuchs und „die so viele schöne grüne Ecken hat“, schwärmt Kuhn. Dreimal pro Woche joggt sie durch die Bockumer Parks, den Schönwasser- und den Sollbrüggen-Park. „Laufen ist für mich ein wichtiger Ausgleich, da bin ich ganz bei mir“, erzählt sie. Musik hört sie nicht beim Laufen. Stattdessen wiederholt sie im Kopf den Text für die Rolle, den sie gerade lernt. Aktuell ist das die Rolle des „Edwin Drood“. Aber Moment mal: eine Frau spielt einen Mann? „Ja, das ist ein Kunstgriff des Komponisten Holmes, das wird nicht erklärt, das ist einfach so“, sagt Kuhn und nickt, „das ist eine besondere Herausforderung für mich!“ An ihren Beruf stellt sie immer einen hohen Anspruch, der schon damit beginnt, dass sie ihr Alter nicht verrät. „Wie alt ein Mensch ist, der auf der Bühne steht, ist unerheblich; wichtig ist, was dieser Mensch darstellt.“ Und das immer mit Herzblut, „mit Genuss“. „Wenn sich der Vorhang hebt“, unterstreicht Kuhn, „fange ich immer bei Null an.“ Auch, weil man sich keine Sicherheit erwerben könne. „Natürlich hat man eine gewisse Routine. Aber jeden Abend kann alles passieren.“

Auch KR-ONE-Redakteurin Almut Steinecke läuft sich warm für die Premiere
Gerade in einem Stück wie „Edwin Drood“. Dieses Werk, 1986 vom britisch-amerikanischen Komponisten und Dramatiker Rupert Holmes als Musical vertont, gilt als „erstes interaktives Musical“, erklärt Kuhn: „Das Publikum wird direkt in die Handlung einbezogen, es darf sogar mitbestimmen, wie das Stück ausgeht. Das ist etwas ganz Besonderes, das muss man erlebt haben!“
Bei der Vorlage handelt es sich nämlich um eine unvollendete Arbeit von Charles Dickens: kurz vor Abschluss seines Kriminalromans verstarb der Autor im Jahr 1870. Und ließ einen turbulenten Plot offen, der in alle möglichen Richtungen enden kann.
„Im Mittelpunkt steht der junge Engländer Edwin Drood, der mit einer Frau namens Rosa verlobt ist“, erklärt Kuhn die Handlung, pustet sich beim Laufen eine Haarsträhne aus der Stirn. „Rosa wird auch von vielen anderen Männern begehrt, die Edwin lieber heute als morgen aus dem Weg schaffen würden. Und eines Tages ist Edwin plötzlich weg, spurlos verschwunden!“
Was ist mit ihm passiert? Ist Edwin nur verreist? Oder wurde er tatsächlich aus dem Weg geschafft? „Das“, lächelt Kuhn, „müssen die Zuschauer für sich herausfinden.“ Ebenso wie sie derzeit für sich entdeckt, wie sie den „Edwin“ spielen muss. Schlüpft eine Frau auf der Bühne in die Rolle eines Mannes, wird das im Theaterjargon „Hosenrolle“ genannt. „Am wichtigsten ist es, dass ich mir dafür meiner Körpersprache, meines ganzen Auftretens, bewusst werde“, sagt Kuhn, während sie an einer Spaziergängerin mit einem kleinen Hund vorbeijoggt. Der Hund guckt interessiert.
„Es ist nicht nötig, dass ich meine Stimme verstelle“, erklärt Kuhn weiter, „aber meine Bewegungen dürfen nicht klassisch weiblich sein. Aber auch nicht überzogen machomäßig.“ Ein Balanceakt also. Ebenso wie sich auch die Bühne manchmal wie Glatteis anfühlt. „Gott sei Dank habe ich als Sängerin das Medium Musik, an der ich mich während eines Auftritts wie an einer Schnur entlang hangeln kann“, sagt Kuhn und bleibt an einer Bank stehen.
„Wie alt ein Mensch ist, der auf der Bühne steht, ist unerheblich; wichtig ist, was dieser Mensch darstellt.“
Sie stellt ein Bein auf die Bank, drückt ihren Oberkörper leicht nach vorne, dehnt ihren Oberschenkel. Auch nach so vielen Jahren als Darstellerin verspürt sie manchmal noch Lampenfieber, heftiges Herzklopfen, sobald sich der Vorhang hebt. Eben noch hinter dem schützenden Stoff steht sie plötzlich im Rampenlicht, alle Augen sind auf sie gerichtet. „Ich atme dann kurz in den Bauch. Und dann wandele ich das Lampenfieber um in Energie.“
Spricht’s, stößt sich von der Bank ab und sprintet zu ihrem Auto auf dem Schönwasser-Parkplatz. In ein paar Stunden ist Probe, dann geht’s ab auf die Bühne. Warmlaufen für die Premiere.