Ein junger Mann kauert vor einer Mauer, das Gesicht vermummt mit einer bunt besprenkelten Gasmaske. In seiner Hand hält er eine Lackspraydose. Vorsichtig drückt er auf den Sprühkopf. Mit einem kaum hörbaren „tzzz“ tritt schwarze Farbe aus. Die rund acht Quadratmeter vor ihm sind bereits bedeckt von grünen, blauen und gelben Farbflächen. Ein weiterer junger Mann ist wenige Meter weiter ebenfalls mit Sprühen beschäftigt. Doch anders als man bei dieser Szenerie erwarten könnte, ist es weder dunkel, noch tun Alex und Jarek hier etwas Illegales. Im Gegenteil. Der Besitzer der Diskothek, auf deren Wänden sie in den vergangenen Stunden rund acht Liter Acrylfarbe hinterlassen haben, hat die beiden engagiert.

Zwei Männer, zwei Gasmasken, und viele Dutzend Spraydosen

Tubuku

Jaroslaw „Jarek“ Masztalerz

Jaroslaw „Jarek“ Masztalerz und Alex Weigandt verdienen ihr Geld mit einer Tätigkeit, für die andere in brenzligen Nacht-und-Nebel-Aktionen in Zugtunneln herumkriechen und Häuserfassaden erklimmen. Anders als ihre im Schatten agierenden Kollegen machen sich Alex und Jarek jedoch nichts aus sogenannter „Realness“. „Die Sprüher nehmen uns nicht wirklich ernst. Die haben eine sehr klare Ansicht, was Authentizität betrifft. Wir sehen uns aber auch gar nicht als Graffiti-Artists“, erklärt Jarek. In einer Zeit, in der jeder zweite sich einen künstlerischen Anspruch zuschreibt, bleiben die TUBUKU-Jungs pragmatisch. „Wir sind Designer, Handwerker“, sagt Alex, „und arbeiten im Grunde genau anders herum als ein Künstler. Wir sehen eine Fläche und arbeiten anhand der Gegebenheiten, passen uns dem Untergrund und den Wünschen der Kunden an. Ein Künstler hat eine Idee, die er so umsetzt, wie sie ihm in den Kopf kommt. Er denkt an das, was er selbst sehen möchte.“ Wenn sie sich ein Label geben müssten, wäre es Street Art. „Wir beherrschen das künstlerische Handwerk aber gehen grafisch an die Sache ran. Es muss wirken“, findet Jarek, und Alex nickt.

TUBUKU ist eine Wortneuschöpfung aus dem englischen Wort „too“ und den französischen „beaucoup“. „Abgeleitet vom deutschen Sprichwort ‚Zu viel des Guten‘, weil wir immer versuchen, mehr aus unseren Projekten rauszuholen, als vielleicht auf den ersten Blick nötig oder gefragt ist. Mehr ist mehr. Wenn die Wand danach schreit, dann muss mal halt noch einen draufsetzen“, erklärt Jarek. Mit einer Farbdose kann eine Fläche von maximal einem Quadratmeter eingefärbt werden. TUBUKU arbeiten mit vielen feinen Schattierungen, ihre Werke strotzen vor Farbintensität und Dynamik, sie sind unübersehbar. Für jede Farbe, die sie in ein Bild einbringen, nutzen die Wahlkrefelder mindestens drei Abstufungen. So entsteht eine besondere Tiefe und die typische 3D-Wirkung ihrer Motive. Die meisten zeigen Naturszenerien: Blätter, Bäume, Tiere. „Ich bin der Farb- und Form-Perfektionist bei uns beiden, Alex ist der Mann für Kontraste und Gesamtwirkung. Was auch damit zusammenhängen mag, dass er eine Rot-Grün- Schwäche hat“, lacht Jarek.

Kreativität schweißt zusammen

Tubuku

Alex Weigandt

Die beiden 35-Jährigen strahlen noch immer den Charme zweier Lausbuben aus. Wer sie kennenlernt, kann sich gut vorstellen, wie sie vor mehr als 20 Jahren gemeinsam die ersten Malexperimente veranstalteten – damals noch im Schutz der Dunkelheit. Beide waren zur selben Zeit mit ihren Familien nach Deutschland gezogen. „Wir sind gleichzeitig in dieselbe Stadt gekommen, nach Monheim. Ich kam aus Polen, Alex aus Kasachstan. Dort haben wir unsere Jugend miteinander verbracht“, erzählt Jarek. „Monheim war damals noch ein Loch. Uns Jugendlichen war schnell langweilig. Und wenn Jugendlichen langweilig wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man wird kriminell oder kreativ. Wir haben uns zum Glück dazu entschieden, unsere Langeweile mit Farben zu vertreiben.“ Wie sehr die gemeinsame Kindheit und die vielen seither vergangenen Jahre die beiden Männer zusammengeschweißt haben, ist offensichtlich. Alex und Jarek bilden auch im Gespräch eine Art Symbiose. Häufig lösen sie einander im Sprechen ab, beenden gegenseitig ihre Sätze und entwirren die Gedankengeflechte des jeweils anderen. „Wir haben einfach immer die gleiche Einstellung gehabt. Wenn wir mit anderen Leuten zusammengearbeitet haben, sind wir häufig mit negativen Erfahrungen aus dieser Zeit herausgegangen. Einfach, weil unsere Auffassung anders zu sein scheint“, erinnert sich Alex. Was TUBUKU auszeichne, sei ihr unbändiger Arbeitswille. „Einfach machen“, lautet das Credo der beiden. „Wir haben uns nicht umsonst den Hashtag ,Ballern‘ angeeignet. Wir sagen immer: ‚Im Zweifel einfach machen‘. Was kann passieren, außer einer Erfahrung, die man sammelt und einem Ergebnis, aus dem man lernen kann?“ Sich stets zu verbessern, ist den Designern wichtiger als alles andere. Neben ihrem Beruf und dem gemeinsamen Kommunikationsdesignstudium an der Hochschule Niederrhein engagieren sich Alex und Jarek regelmäßig im sozialen Kontext, geben Malworkshops in Behindertenwerkstätten oder Kinderheimen.

An diesem Tag werden TUBUKU noch einige Stunden weiterarbeiten, auch wenn sie schon seit den Morgenstunden dabei sind. Gutes Wetter heute – das wollen die beiden ausnutzen. Langeweile kennen sie nicht mehr. Ihre Arbeit hält sie ständig auf Trab. In Krefeld haben sie sich bereits in den meisten Nachtclubs verewigt, an Stromkästen und der Fassade der „Blauen Erdbeere“. Außerhalb der Seidenstadt sind sie noch aktiver, werden in ganz Deutschland angefragt. „Unser bisher größtes Projekt war die Umgestaltung des Menke-Geländes in Monheim. Da haben wir mehrere Tage lang bei Minusgraden gearbeitet – und auch dort übernachtet. Das war völlig verrückt, aber auch eine wirklich krasse Erfahrung“, erzählt Jarek und schlägt damit den Bogen zum zweiten offiziellen TUBUKU-Motto: „Alles kann, alles muss.“ Die beiden setzen wieder die Gasmasken auf und schütteln die Spraydosen: Heute Nacht wird an dieser Stelle der fertige Disco-Dschungel zu bestaunen sein.

TUBUKU
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