Seit 2002 erfüllt der Krefelder Verein „Sonne, Mond und Sterne“ todkranken Menschen letzte Herzenswünsche. So wie dem verstorbenen Ahmed Koubaa, der in seiner Heimat Tunesien beerdigt werden wollte. In der KR-ONE lässt seine Frau die Erinnerungen an den Einsatz von „Sonne, Mond, Sterne“ Revue passieren, Erinnerungen voller Schmerz – aber auch voller Dankbarkeit.

Helene Koubaa betrachtet das Bild in ihrer Hand, streicht mit den Fingerspitzen über das Foto. Das Bild zeigt ihren kürzlich verstorbenen Ehemann Ahmed, und natürlich wird sie traurig, wenn sie es ansieht. Aber sie spürt auch eine ungewöhnliche Ruhe in sich. Denn mit der Erinnerung, sagt sie, ist ihr diese Gewissheit geblieben: „Meinem Mann wurde sein letzter Herzenswunsch erfüllt“ – einem Krefelder Verein sei Dank.

Letzter Wunsch - Verein „Sonne, Mond und Sterne“

Helene Koubaa verlor ihren Mann an Krebs

Es ist ein kalter Dienstag im Januar, die Wintersonne scheint durchs Fenster von Helene Koubaa. 62 Jahre alt ist die gelernte Näherin mit den aschblonden Haaren, die in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa sitzt. Sie erzählt von der Zeit, als sie ihren drei Jahre älteren Ahmed, einen gebürtigen Tunesier, bereits Rentner, an Lungenkrebs verlor. „Kurz nach Karneval 2014 spuckte Ahmed mitten in der Nacht plötzlich Blut. Die Ärzte entdeckten einen Tumor im Lungenflügel direkt unterhalb der Luftröhre und in unmittelbarer Nähe zur Hauptschlagader.“ Man sagte ihr, der Tumor sei nicht zu operieren, ohne dass ihr Mann zu verbluten drohe. „Ahmed entschloss sich zu einer Chemotherapie, meinte aber auch: ,Wenn mir nicht mehr zu helfen ist, möchte ich in meine Heimat Tunesien und dort beerdigt werden.‘ Das habe ich ihm versprochen“, sagt Helene Koubaa. Damals wusste sie allerdings nicht, wie schnell alles gehen würde.

Schon Ende Juli gaben die Ärzte Ahmed Koubaa auf. Helene Koubaa blickt auf ihre Hände und erzählt: „Ich kehrte mit ihm in unsere Wohnung zurück und pflegte ihn unter Aufsicht eines mobilen Palliativdienstes weiter“ – im Hinterkopf immer den letzten Wunsch ihres Mannes. Ahmed war in Sfax geboren, der zweitgrößten Stadt Tunesiens, rund 270 Kilometer von der Landeshauptstadt Tunis entfernt. Mit 22 Jahren war er nach Krefeld gekommen, um in der Gastronomie zu arbeiten. Den Krefeldern wurde er als Kellner in der Pizzeria „Amalfi“ an der St. Anton-Straße ein Begriff. Hier am Niederrhein hat er auch seine Frau Helene kennengelernt. Er bekam zwei Söhne mit ihr, Ahmed und Farid, die nach ihrem Studium in Deutschland als Ingenieure nach Tunesien zurückkehrten.

Liebend gerne hätte Helene Koubaa sofort einen Flug dorthin gebucht. Doch Ahmed litt zu allem Überfluss an einem Krankenhauskeim. Der musste erst noch auskuriert werden. Gleichzeitig steckte Koubaa in einer finanziell schwierigen Lage; schon vor einiger Zeit hatte sie betriebsbedingt eine Festanstellung als Näherin verloren und noch keine neue Arbeit gefunden. Die Rente ihres Mannes war auch nicht gerade hoch; eine Reise nach Tunesien war einfach nicht drin.

„Es ist unglaublich, was ,Sonne, Mond und Sterne‘ für Menschen tut, die keinen Ausweg mehr haben.“

Letzter Wunsch - Verein „Sonne, Mond und Sterne“

Bilder aus glücklichen Ehejahren

„Da erzählte mir eine der Palliativschwestern von diesem Krefelder Verein namens ,Sonne, Mond und Sterne‘, der todkranken Menschen ihren letzten Herzenswunsch erfüllt“, erinnert sich Koubaa und ergänzt: „Ich hatte vorher noch nie von diesem Verein gehört – das war wie eine glückliche Fügung für mich!“ Sie nahm Kontakt auf zu Meta Metz, der heute 67-jährigen Vereinsgründerin.

„Sonne, Mond und Sterne“ gibt es seit 2002, seither erfüllt der Verein 20 bis 30 todkranken Menschen im Jahr letzte Herzenswünsche. Geleitet von einer Frau, die lieber handelt, als viele Worte zu machen. „In der Regel treten die Angehörigen wie Helene Koubaa an mich heran“, verrät Meta Metz, „und ich besuche die Schwerkranken und ihre Familien zuhause und lerne die Patienten und ihre Angehörigen kennen.“ Ob der geäußerte letzte Wunsch angemessen ist und von ,Sonne Mond Sterne‘ finanziert werden kann, prüft der Verein im Einzelfall; letztlich werde er allein durch Spenden von Unternehmen und Privatpersonen getragen. Und so erfolgreich wie bisher solle er noch möglichst lange weiter bestehen, denn das Vereinskonzept sei nahezu einzigartig, sagt Metz.

Unter den deutschlandweit rund 600.000 eingetragenen Vereinen zählt der Bundesverband deutscher Vereine und Verbände (BdVV) zwar 240.000 gemeinnützige, also gut ein Drittel. Doch speziell letzte Wünsche in der letzten Lebensphase würden vor allem Kindern erfüllt, sagt Metz. Das sei richtig und wichtig, bekräftigt sie, aber betont: „Es muss doch so ein Angebot auch für todkranke Erwachsene geben.“

2002 gab es ein solches Angebot in Deutschland ihrer Beobachtung nach nicht – die Idee zu „Sonne, Mond und Sterne“ war geboren. Andere mildtätige Dienste, speziell für erwachsene Schwerstkranke, sind inzwischen nachgezogen, zum Beispiel „Ein letzter Wunsch“, 2012 in Hamburg gegründet. Das Original aber kommt aus Krefeld. Die unterschiedlichsten „letzten Herzenswünsche“ hat ,Sonne, Mond und Sterne‘ in den zurückliegenden zwölf Jahren wahr gemacht: eine Not-Trauung am Krankenbett für eine unheilbar kranke 51-Jährige, einen neuen Gefrierschrank für einen schwerstkranken armen Frührentner, dem noch 70 Euro für sein Haushaltsgerät fehlten. Oder eben die letzte Reise für Ahmed Koubaa, die dieser nicht mehr lebend antrat.

Letzter Wunsch - Verein „Sonne, Mond und Sterne“

Auf dem Tisch im Wohnzimmer von Helene Koubaa flackert ein Teelicht durch die Fenster einer kleinen Moschee aus Keramik. „Kurz bevor es losgehen sollte nach Tunesien, ist Ahmed gestorben“, erzählt Koubaa leise. Wenig später ist sie mit ihrem toten Mann in seine Heimat geflogen. Am 25. September 2014 wurde er in Sfax beerdigt. Koubaa schluckt. Einen Moment ist es ganz still im Raum. Dann atmet die ältere Dame durch, guckt hoch. „Es ist unglaublich, was ,Sonne, Mond und Sterne‘ für Menschen tut, die keinen Ausweg mehr haben“, sagt sie. „Es ist einmalig, was Meta Metz für uns getan hat. Ich finde keine Worte für meine Dankbarkeit. Auch wenn Ahmeds Leichnam so weit weg ist. Denn was hätte es genutzt, wenn ich immer zu seinem Grab hätte gehen können, weil er in Deutschland geblieben wäre – doch er, er nicht ruhig hätte schlafen können?“