Meine Familie und Freunde machen sich Sorgen. Ich sei überdreht, ewig auf 180 und müsse dringend mal entschleunigen, einen Gang runterschalten oder ein kleineres Rad drehen. Okay, denke ich, ich nehme euch heute einmal wörtlich und tue das, was ich ansonsten meide wie die Stammkneipe vom FC Bayern – ich fahre durch einen verkehrsberuhigten Bereich. Ich habe alle Termine abgesagt, die CD „Musik für die Seele“ in den CD-Player meines Autos eingelegt und biege unter den mystischen Tönen tibetanischer Klangschalen in die 250 Meter betonierte Friedfertigkeit ein. Hier hoffe ich, zur Ruhe zu kommen, denn das, was die Straßenverkehrsordnung dem Turboantriebtäter und Überholspurjunkie an dieser Stelle abverlangt, ist entschleunigender als Tai Chi, Yoga und autogenes Training zusammen. Nach dem Willen der Stadtplaner soll ich die 210 PS meines Sechszylinders in Oma Klawuttkes Schritttempo um malerische Blumeninselchen herum manövrieren und mit meinem zwei Tonnen Geländekraftpaket sanft wie eine Schneeflocke über die rotbraunen Pflastersteinhügelchen schweben. Ich gebe mein Bestes, aber wie ich es schaffen soll, die gewünschten 4-7 Stundenkilometer nicht zu überschreiten, dazu gibt selbst der ADAC nur eine eher hilflose Empfehlung ab. Angespannter denn je bin ich froh, die endlos erscheinende Marterstrecke gleich wieder verlassen zu können, als es kommt, wie es kommen muss. Am Ende der Komfortzone, in etwa 80 Metern Entfernung, steht ein Polizist, der mich energisch zu sich heranwinkt. Um die Staatsgewalt nicht warten zu lassen, beschleunige ich und werde von ihm angehalten. Ich sei in einem verkehrsberuhigten Bereich zu schnell gefahren. Ich antworte ihm, dies sei richtig, aber doch nur, weil er mich so hektisch heran gewunken hätte. Nein, ich hätte bereits vorher die für diesen Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten. Dass er mich zur Eile aufgefordert hätte, läge nur daran, dass er schließlich nicht ewig Zeit hätte, auf mich zu warten. Als ich ihn aufgrund dieser zwielichtigen Bemerkung wie ein nass rasierter Uhu anschaue, entschließt er sich, es bei einer mündlichen Verwarnung zu belassen. Auf meinem Weg zurück in die rüde Verkehrswirklichkeit fallen mir meine früheren Begegnungen der verkehrsberuhigten Art ein. Ich denke an die gestresste Kindergartenmami, die um die Schleichweg-Schikanen kurvte, als ginge es hier um den Sieg im 250 Meter Zeitfahren für Smart-Profis. Ich sehe noch das Ehepaar mit Wackel-Dackel gemächlich vor meinem Kühler flanieren, weil es glaubte, in dieser entmobilisierten Zone durch trotzige Slow Motion sein Recht auf Freiheitsberaubung ausüben zu können. Schlussendlich „Rentman“, der pensionierte Erfinder des Volkswillens, der in übelster Gerechtigkeitslaune eine einkaufstütenbehangene Fahrrad-Jongleuse durch sein entschlossenes Einschreiten in ihren Rollweg zu Fall brachte und dann wüst beschimpfte. Er war sich wohl sicher, sie auf halsbrecherische Art ausbremsen zu dürfen, da sie mindestens drei Kilometer zu schnell gefahren sei. Nein, ich habe nichts gegen verkehrsberuhigte Bereiche, sie machen Sinn, aber sie offenbaren auch auf ihre Art die Konflikte einer freiheitlich verwöhnten und deshalb zunehmend aggressiven Gesellschaft.
Ihr Wolfgang Jachtmann