Was kann die Stadt tun gegen „Schrott-Immobilien“?
Wäre Krefeld die britische Hauptstadt, könnte es theoretisch in naher Zukunft besser stehen um die Lindenstraße, die Tannenstraße oder die Mittelstraße. Hier verschandeln sogenannte Schrott-Immobilien den Charakter der Quartiere. Ähnlich sahen auch einige Straßenzüge im London des 20. Jahrhunderts aus. Doch die Stadtväter dort nutzten entsprechende Rechtsmittel, um die Eigentümer der verwahrlosten Häuser zu enteignen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist die Mängel abstellten. Welche rechtlichen Mittel hat dagegen eine Stadt wie Krefeld, um solche Missstände zu beseitigen? Wir haben Martin Linne als Beigeordneten für den Geschäftsbereich Planung, Bau & Gebäudemanagement der Stadt Krefeld und Ulf Prechtel als Fachanwalt mit Schwerpunkt öffentliches Baurecht der auf Bauen und Immobilien spezialisierten Krefelder Kanzlei GTW dazu befragt. Daraus wurde ein groß angelegter Faktencheck. Zunächst stellt Martin Linne klar: „Grundsätzlich ermöglicht das anglikanische Rechtssystem Enteignungen eher als die Gesetzeslage im ,Festlandseuropa‘. Relevante Vergleiche sind aber nicht möglich, weil die britischen Rahmenbedingungen im Vergleich zu unserer Rechtssystematik sehr unterschiedlich sind.“ Will heißen: Die angewandten anglikanischen Gesetze sind nicht auf eine Stadt wie Krefeld übertragbar. Dennoch gibt es auf den ersten Blick diverse juristische Hebel für eine Stadt, um gegen private Schrott-Immobilien vorzugehen – bei weiterer Recherche allerdings noch mehr Hürden, die das verhindern.
Der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ hat keine Praxisrelevanz Ausgehend vom § 176 Baugesetzbuch (BauGB), der seit 1976 das sogenannte „Baugebot“ beinhaltet, stellt sich die Frage nach einer praktischen Anwendbarkeit. Im Gesetzestext heißt es unter anderem: „Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans kann die Gemeinde den Eigentümer durch Bescheid verpflichten, innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist ein vorhandenes Gebäude (…) den Festsetzungen des Bebauungsplanes anzupassen.“ Konkret kann eine solche Anpassung eine Sanierung sein. Im Folgenden heißt es aber auch: „Ist die Durchführung des Vorhabens aus wirtschaftlichen Gründen einem Eigentümer nicht zuzumuten, hat die Gemeinde vom Baugebot abzusehen.“ In diesem Fall hat die Stadt keine Handhabe. Im Umkehrschluss wird hier bereits deutlich: Den Rechten des Eigentümers wird mehr Gewicht beigemessen als seinen mit dem Eigentum verbundenen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit. Das führt den gemeinhin geltenden Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ ad absurdum.
Selbst der verschärfte Absatz 8 des Baugebots, der eine Enteignung vorsieht, wenn der Eigentümer keinen Bauantrag stellt, um die Immobilie wieder bewohnbar zu machen, hat nach dem Kenntnisstand von Ulf Prechtel und Martin Linne keine Praxisrelevanz. Letzterer kennt keinen Fall aus den vergangenen 30 Jahren, „denn die Anwendung des Baugebots ist an sehr spezielle Rahmenbedingungen gebunden. Dazu kommen ein hoher Dokumentations- und Betreuungsaufwand durch die Stadt. Zudem kann der Eigentümer die einzelnen Verfahrensschritte im Rahmen seiner gesetzlichen Rechtschutzmöglichkeit sehr verzögern.“ Als Beispiel für den hohen Dokumentationsaufwand nennt Beigeordneter Linne die Situation in einigen Kölner Stadtteilen. Dort herrscht objektiv ein städtebaulicher Missstand mit entsprechendem Handlungsdruck: nämlich eine deutlich über dem Angebot liegende Nachfrage nach Wohnraum. „Diese Fakten muss die Stadt dem Eigentümer aufwendig nachweisen. Ein solches Verfahren verschlingt hohe Personalkosten und Sachmittel.“
Die Folge: Das Baugebot wird in diesem Fall nicht angewandt.
Hoher Dokumentations- und Betreuungsaufwand durch die Stadt Es gibt allerdings Sachverhalte, die der Stadt ein Einschreiten ermöglichen, wenn es der Eigentümer selbst nicht tut. Baufachanwalt Ulf Prechtel dazu: „Sind die Gebäude in einem derart schlechten Zustand, dass sie Leben und Gesundheit gefährden, also einsturzgefährdet sind oder ungesunde Wohn- oder Arbeitsverhältnisse vorliegen, kann die Bauaufsicht den Missstand durch geeignete Maßnahmen beseitigen. Es handelt sich dabei um Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Leerstand allein reicht dafür aber nicht aus.“ Martin Linne ergänzt: „Die Kosten für eine solche ,Ersatzvornahme‘ trägt zunächst die Stadt. Sie sind später vom Eigentümer zurückzuzahlen.“
Theoretisch kann die Stadt vom Eigentümer auch eine Modernisierung der Immobilie verlangen, wenn die Wohn- und Arbeitsverhältnisse dort ungesund sind. Der Haken beim „Modernisierungsgebot“: Eine baldige Durchführung muss städtebaulich erforderlich sein. Ulf Prechtel erläutert: „Dazu muss sie der Planverwirklichung dienen oder es muss dringender Wohnungsbedarf bestehen.“ Aber der muss – wie bereits am Beispiel der Stadt Köln erwähnt – ausführlichst dokumentiert werden. Das wiederum kann dazu führen, dass auch das Modernisierungsgebot nicht umgesetzt wird.
In einem Bericht der Stadtverwaltung aus dem Jahr 2015 zum Umgang mit verwahrlosten Immobilien in Krefeld, an dem die Fachbereiche Stadtplanung und Bauaufsicht mitgewirkt haben, werden folgende weitere Rechtsmittel für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen von Schrott-Immobilien genannt: das Instandsetzungsgebot, das Rückbau- und Entsiegelungsgebot, das Anpassungsgebot sowie die Enteignung. Alle diese Gebote verlangen, bevor sie umgesetzt werden können, detaillierte Voraussetzungen, die meist allerdings nicht zu erfüllen sind. Ein Beispiel: Mit dem Instandsetzungsgebot kann eine Gemeinde einen Eigentümer verpflichten, vorhandene Mängel im Inneren oder Äußeren seines Gebäudes zu beseitigen. Solche Mängel sind Verschlechterungen des ursprünglichen Zustands, die insbesondere durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkung Dritter verursacht worden sind. So weit, so eindeutig. Nun folgen weitere Voraussetzungen für die Durchführbarkeit. Ein Eigentümer muss nämlich nur dann aktiv werden, „wenn die bauliche Anlage nach ihrer äußeren Beschaffenheit das Straßen- und Ortsbild nicht nur unerheblich beeinträchtigt“. Oder wenn sie „wegen ihrer städtebaulichen, insbesondere geschichtlichen oder künstlerischen Bedeutung erhalten bleiben soll“. Letzteres trifft wohl auf die wenigsten Schrott-Immobilien in Krefeld zu. Die Stadtverwaltung kommt zu dem Ergebnis, dass das Gebot nur wenig angewendet wurde und nennt zwei Gründe: Entweder ist die Immobilie derart ruinös, dass der Erlass wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Oder die unrentablen Kosten überschreiten die Möglichkeiten bzw. die Bereitschaft der Gemeinde, die gegenüber dem Eigentümer zum Ausgleich dieser Kosten verpflichtet ist. Das Ergebnis: Stillstand.
Als vorläufiges Fazit zeigt sich diese Krux: Die Stadt muss viel Zeit und Geld aufwenden, wenn sie per Gesetz die Aufwertung einer privaten Immobilie vorantreiben möchte. Zudem sind die Hürden für einen solchen Erlass wegen des immensen Eingriffs in die Eigentumsrechte des Besitzers sehr hoch.
„Aktuell werden für sieben NRW-Städte Fördermittel über das Land NRW bereitgestellt, um entsprechende Problemsituationen durch Ankauf und nachfolgenden Abriss zu lösen. Das belegt die Irrelevanz der theoretischen rechtlichen Möglichkeiten.“ -(Baudezernent Martin Linne)
Quo vadis, Stadtentwicklung? Auf die Frage, wie das Baugebot helfen kann, Stadtentwicklung voranzutreiben, antworten Baufachanwalt und Beigeordneter unisono: „Das Gesetz kann nur greifen, wenn es städtebaulich erforderlich ist. Dazu gehört beispielsweise die Schließung von Baulücken, um eine homogene städtebauliche Struktur zu fördern. Die bebaute Umgebung muss dabei soweit fortgeschritten sein, dass sich die Bebauung der letzten Baulücke als unaufschiebbar darstellt.“ Damit werden aber lediglich Eigentümer von unbebauten Grundstücken angesprochen und nicht von verwahrlosten Bestandsimmobilien. Und auch in solchen Fällen darf das Baugebot nicht erlassen werden, wenn die Umsetzung der Maßnahme für den Eigentümer objektiv wirtschaftlich nicht zumutbar ist.
Fest steht: Krefelds städtebauliche Zukunft steht und fällt mit der Beteiligung der Eigentümer. Eine aktuell nicht zu vermarktende desolate Immobilie kann nicht im Eiltempo zum Juwel werden. Martin Linne erläutert die zahlreichen differenzierten und sich ständig verändernden Kriterien zur Vermarktbarkeit: „Dazu gehören Nachfrage, Miethöhe, Zinsentwicklung und Baukosten. Außerdem ist zu klären, warum sich eine Nichtvermarktbarkeit ergibt. Das kann beispielsweise eine über Jahrzehnte vernachlässigte Gebäudeunterhaltung sein.“ Der Einsatz öffentlicher Mittel zum Ausgleich von privatwirtschaftlichem Fehlverhalten sei allerdings engen Grenzen unterworfen, zum Beispiel im Rahmen von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen gem. §§ 136 ff Baugesetzbuch. Die kann man einsehen auf der Webseite des Bundesjustizministeriums: www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__136.html
Hinzukommt, so der Beigeordnete, „dass der Einsatz zusätzlicher öffentlicher Mittel für öffentliche Interventionen über die bestehenden Steuererleichterungen und Förderungsmöglichkeiten wie KfW zu Energieeffizienz & Barrierefreiheit, Wohnungsbauförderung im Bestand oder Stadtumbau West in der Krefelder Innenstadt im angesprochenen Rahmen Aufwendungen von mindestens hohen zweistelligen Millionenbeträgen erfordern würde, die letztlich durch alle Steuerzahler gegenfinanziert werden müssten.“ Die Stadt appelliert daher an alle Gebäudeeigentümer, die aktuell extrem günstigen Rahmenbedingungen zu nutzen und hofft dabei auch auf die Unterstützung der Eigentümerverbände. Im innerstädtischen Bereich besteht die Möglichkeit einer für die Eigentümer kostenlosen Erstberatung, um die Sanierungserfordernisse sowie Förderungsmöglichkeiten zu klären. Fazit: Der im Grundgesetz verankerte Artikel 14 „Eigentum verpflichtet“ ist zwar theoretisch richtig, in der Lebenswirklichkeit aber kaum umsetzbar, denn es fehlen einschlägig erfolgreiche Rechtsmittel gegen Schrott-Immobilien. Zudem wiegen die im Grundgesetz verankerten Eigentums- und Persönlichkeitsrechte im Zweifelsfall größer.
Beigeordneter Martin Linne fordert daher abschließend, „dass der Bundesgesetzgeber eine in der Praxis vor Ort umsetzbare Neufassung diskutiert und nicht nur über Rechte, sondern auch über Pflichten der jeweils Verantwortlichen gesprochen wird.“