Es ist Dienstagmorgen. Aus einer kleinen Werkstatt in der Aachener Schildstraße tönt ein kratzendes Geräusch. Geigenbauerin Judith Huppertz schleift den Hals eines Kontrabass, der ihr vor wenigen Tagen zur Reparatur gebracht wurde. Feine, hellbraune Späne rieseln auf den Fliesenboden neben der riesenhaften Arbeitsplatte, auf der dutzende Feilen, Schnitzmesser und Planschneider bereitliegen. Immer wieder befeuchtet sie das in einer Schraubzwinge fixierte Stück Ahornholz mit Wasser, um die leicht aufgeweichte obere Schicht abschmirgeln zu können. Am Ende soll der untere Schaft des Halses wie angegossen in die trapezförmige Aussparung am Korpus des Instruments passen. Vorsichtig schraubt sie das noch unbehandelte Holzstück los und trägt es hinüber in den vorderen Bereich des Ateliers, wo an petrolfarbenen Wänden dutzende handgefertigte Geigen und Bratschen hängen. Geschickt schiebt sie Halsstück und Basskörper zusammen. Es passt perfekt.

Sinnliche Wölbungen, zärtliche Grübchen und ein makellos-schimmernder Korpus: Die Violine gilt als Schönheitskönigin unter den Instrumenten, ihr formvollendetes Äußeres lässt sich beschreiben wie das einer antiken griechischen Frauenstatue. Doch anders als das menschliche Schönheitsideal hat die Form der Geige kaum etwas mit reiner Ästhetik zu tun. Sie ist das Produkt einer jahrhundertelangen Entwicklung von der primitiven Fidel zum Instrument der Virtuosen. Die ersten Vorläufer der Violine wurden im 8. Jahrhundert im spanisch-maurischen Raum hergestellt. Von dort aus verbreiteten sich die Streichinstrumente in ganz Europa und durchliefen diverse klangverbessernde Anpassungsvorgänge. Ihre noch heute typische Form erhielt die Geige im Italien des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit stammen auch die berühmten Instrumente des Geigenbauers Antonio Stradivari, deren Optik und Konstruktionsweise zum großen Vorbild aller nachfolgenden Geigenbauer wurden.

Nicht nur was die Form betrifft, ist das Geigenbauhandwerk vollkommen traditionell geblieben. Auch die verwendeten Hölzer, Leime und Harze sind noch dieselben, die schon vor Jahrhunderten benutzt wurden. „Die Leime werden zum Teil auf Basis tierischen Materials hergestellt. Eine Geige ist also nicht unbedingt vegan“, lacht Judith Huppertz, während sie Basshals und -körper wieder auseinanderzieht. „Bisher wurden einfach noch keine Alternativmittel gefunden, die genauso gut funktionieren.“ Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Christoph Verstraeten eröffnete die 32-Jährige vor drei Jahren ein eigenes Bau- und Reparaturatelier für Geigen und andere Streichinstrumente. Kennengelernt hatten sich die beiden während ihrer Ausbildung an der Lutherie School in Antwerpen. Anders als viele klassische Handwerke ist der Instrumentenbau noch nicht vom Aussterben bedroht. Zwar können Geigen, Celli und Kontrabässe heutzutage sehr kostengünstig in Asien produziert werden, wer jedoch einen hohen musikalischen Anspruch hat, kommt auch rund 400 Jahre nach der Hochzeit des Geigenbaus nicht um ein handgefertigtes Instrument herum.

Vitula

Judith Huppertz und Christoph Verstraeten haben ihr Atelier nach dem lateinischen Namen für Fidel benannt

Nicht zuletzt dank der nahegelegenen Musikhochschule wuchs die Auftragslage bei Huppertz und Verstraeten stetig. „Viele Musikstudenten nehmen einen Kredit auf, um sich ein ordentliches Instrument zu kaufen“, erzählen die Geigenbauer. Eine handgefertigte Violine kostet ungefähr so viel wie ein Kleinwagen. „In jede unserer Geigen fließen um die 200 Arbeitsstunden. Außerdem klingt eine gute Geige wesentlich besser als ein industriell gefertigtes Instrument und hält auch sehr lange. Wenn sie ordentlich behandelt wird, kann sie mehrere hundert Jahre alt werden“, erklärt Judith Huppertz.Das Vitula-Duo wird dieses Jahr zum ersten Mal auf dem Flachsmarkt ausstellen – ihren Stand schlagen sie neben Drechslern, Puppenmachern und anderen Handwerkern auf dem Großen Lindenberg auf. Dort werden sie auch einige Geigen zum Kauf anbieten. Das Kontingent ist aufgrund der Witterungsempfindlichkeit der Instrumente jedoch begrenzt.

Nachdem der Kontrabasshals nun sitzt, wendet sich Judith Huppertz ihrem nächsten Auftrag zu: Eine beschädigte Bratsche muss ausgebessert werden. „Judith ist sehr gut in solchen Feinarbeiten, vor allem im Retuschieren. Ich beschäftige mich lieber mit den etwas gröberen Arbeitsschritten. Aber am Ende des Tages machen wir beide alles – so wie wir es in der Ausbildung gelernt haben“, erklärt Christoph Verstraeten, während die Geigenbauerin mit selbstgemischter Farbe geduldig winzig kleine Kratzspuren auf dem Korpus einer Bratsche ausbessert. Wenn sie mit diesem Arbeitsschritt fertig ist, wartet noch eine Reihe überholungsbedürftiger Geigen der nahegelegenen Musikschule auf eine professionelle Begutachtung.

 

 

Vitula Geigenbauwerkstatt, Judith Huppertz & Christoph Verstraeten
Schildstraße 12, 52062 Aachen
Telefon: 0241-47584702,
info@vitula.org