„Von blöden Gänsen, dummen Puten und doofen Hühnern“

Über den Respektlosen
Es ist ein kalter Februartag, aber die Sonne scheint, und so haben wir uns für eine Tasse Kaffee auf die Terrasse gesetzt. Meine brasilianische Freundin beobachtet aufmerksam die akrobatischen Versuche eines kleinen Vogels, Futter aus einem Meisenknödel zu picken. „Schatz, wieso sagen die Deutschen zu einem Menschen, der nicht ganz normal ist, er hätte eine Meise? Ich finde, dass das, was der kleine Vogel da schafft, doch eigentlich ganz toll ist.“ „Keine Ahnung. Wir sagen ja auch ,blöde Gans‘ zu einer törichten Frau.“ Diese Antwort war wohl so deplaziert wie ein Eskimo an der Copacabana, und ich spüre förmlich, wie Christus auf dem Corcovado die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, als Deia detoniert. „Wie kannst Du behaupten, dass eine Gans töricht ist? Schließlich hat Hercules, die brave Gans von meinem Onkel Chiquinho, jahrelang die Fazenda im gefährlichen Mato Grosso mit ihrem Leben verteidigt und war deshalb in den umliegenden Orten so legendär wie Tiradentes (Anm.: brasilianischer Freiheitskämpfer).“ Offensichtlich habe ich in der südamerikanischen Seele einen Flächenbrand ausgelöst, denn während ich noch nach einer Erklärung für „die Meise“ und „die blöde Gans“ google, kommt ihre nächste Breitseite. „Und überhaupt. Warum vergleicht ihr die Dummheit mit der Intelligenz von Vögeln, wenn ihr sagt, der Mensch da hat einen Vogel oder ein Gehirn wie ein Spatz?“ Apropos Spatz. Ich bin halbwegs erleichtert, dass sie nicht auch noch gegen Begriffe wie „Dreckspatz“ oder Schmutzfink“ zu Felde zieht und wünsche mir jetzt eine Werbepause. Die gibt es aber nicht, und deshalb versuche ich, die philosophierende Gerechtigkeits-Guerillera von blöden Gänsen, dummen Puten und doofen Hühnern abzulenken. „Schatz. Wir sagen doch auch, der Typ da hat einen an der Waffel oder der andere dort hat einen neben sich laufen.“ Es ist zwecklos, denn jetzt sind die Alkoholsportler an der Reihe. „Wieso sagst du immer, Werner und Dietmar wären Schluckspechte? Trinken deutsche Spechte etwa Bier oder Wein?“ Ratlos zucke ich mit der Schulter, und insgeheim bin ich froh, dass ihr nicht irgendwann auch noch eine Schnapsdrossel über den Weg getorkelt ist. Was bleibt mir übrig, als ihr Recht zu geben. Wir fürchten uns vor schrägen Vögeln, die wie die Raben klauen, uns kommen alte Jungfern wie Schleiereulen oder Spinatwachteln vor, und der Nachbar mutiert zum komischen Kauz, weil er ständig wie ein Sittich stinkt. Wenn ein Torjäger mehrfach den Kasten nicht trifft, ist er ein blindes Huhn, und ein Sprinter, der die hundert Meter nicht unter 10,0 Sekunden schafft, wird als lahme Ente abgewatscht. Ja sogar vor den niedlichsten Piepmätzen machen wir nicht halt, wenn der Serienmörder während seiner Vernehmung singt wie ein Kanarienvogel. Das betroffene Federvieh pfeift ja drauf, aber viele unserer Vergleiche hinken, und die Bilder, die wir benutzen, entsprechen oft nicht der Realität in der Natur. Als Muttersprachler wird man eben betriebsblind, und deshalb hat zumindest mir der Blick aus der Vogelperspektive meiner Freundin die Hühneraugen geöffnet.

Ihr Wolfgang Jachtmann