Chefarzt Dr. Jan Dreher erklärt, wie persönliche Krisen entstehen, wie wir ihnen vorbeugen können und was im Alltag Halt bietet.
Anfangs fanden viele die Corona-Sorgen anderer lächerlich. Mögen Hamsterkäufe auch eine übertriebene Reaktion auf die neue Situation gewesen sein, so ehrlich muss inzwischen jeder zugeben, dass das grassierende Virus weit mehr ist als eine „gewöhnliche Grippe“. Für uns alle bedeutet das besondere Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, für manche zu allem Überfluss aber auch eine Gefährdung der persönlichen Existenz, eine plötzliche, krasse Veränderung der Lebensumstände – und diesen Schock verdaut nicht jeder gut.

Dr. Jan Dreher, Chefarzt Klinik Königshof
Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Klinik Königshof kennt Dr. med. Jan Dreher die Mechanismen hinter den verschiedenen Formen der privaten Krise. In der Klinik Königshof behandeln er und sein Team tagtäglich Sucht-, Depressions-, Angst- und Psychosepatienten. „Unter einer Krise verstehen wir gemeinhin, dass etwas mein Selbstbild, meine Planung oder die Art wie ich lebe so stark erschüttert, dass ich aus der Bahn gerate. Und das ist für jeden Menschen sehr unterschiedlich“, beschreibt Dreher. „Man spricht in diesem Zusammenhang von ‚Resilienz‘. Das ist ein Begriff aus der Werkstoffkunde und bezeichnet einen Gegenstand, den Sie verbiegen können und der von selbst wieder in seine alte Form zurückkommt“, erläutert er. Resiliente Menschen sind in der Lage, sich trotz eines Tiefschlags schnell wieder in das gewohnte „Mindset“ zurückzufinden, geraten also nicht so leicht in eine Krise. „Sie brauchen Erschütterungen in mehreren Lebensbereichen, zum Beispiel einen Jobverlust, Schulden und ein plötzliches Beziehungsende, um den Halt zu verlieren. Wer schon vorbelastet oder grundsätzlich nicht besonders resilient ist, gerät natürlich wesentlich schneller aus der Bahn“, fügt Dreher hinzu. Eine persönliche Krise äußere sich dann in depressiven Symptomen wie Schlafstörungen, Überforderung und Zukunftsängsten.
Struktur – das A und O
In der Klinik Königshof suchen die Behandler gemeinsam mit den Patienten als erstes nach Lebensbereichen, die sich schnell wieder stabilisieren lassen. „Wir machen eine Bestandsaufnahme: Welche Bereiche sind im Moment gefährdet oder schon zusammengebrochen? Oft ist es dann so, dass es sehr konkrete Belastung gibt, jetzt gerade zum Beispiel finanzielle Sorgen“, erzählt Dreher. Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt von 21 Tagen beinhaltet deshalb eine Erarbeitung konkreter Perspektiven, Zeit zur Kraftschöpfung und zur Wiederherstellung einer gewissen Lebensordnung, wobei „Ordnung“ in diesem Falle durchaus wörtlich zu nehmen ist. „Letzten Endes schauen wir vor allem nach organisatorischen Dingen, zum Beispiel welche Behörden für ein bestimmtes Anliegen kontaktiert werden müssen. Auf diese Weise kommt man schnell zu Erkenntnissen und Ergebnissen, was Stabilität schafft.“ Eine gewisse Struktur, sowohl im Tagesablauf als auch im eigenen Lebensraum sei nicht zu vernachlässigen: Wer den Überblick behält, verliert nicht so schnell den Halt. Wichtig sei es auch, bewährte Stabilisierungsfaktoren im eigenen Alltag nicht aufzugeben. „Es kommt vor, dass jemand mittel-resilient ist, einige gute Freundschaften pflegt, ab und zu Sport treibt, einen Job hat – und alles ist gut.
Dann aber kommt ein Problem auf, derjenige zieht sich von seinen Freunden zurück, macht keinen Sport mehr – und dann ist die Krise plötzlich alles überschattend“, erläutert der Psychologe. Soziale Kontakte und Bewegung sind nachgewiesenermaßen zwei Schlüsselstrategien, die jeder zur Grundversorgung der eigenen Resilienz nutzen kann. „Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Sport und ein aktiver Lebensstil dauerhaft dazu beitragen, dass man resilienter, glücklicher und gesünder ist“, fasst der passionierte Ausdauersportler zusammen. Eine amerikanische Studie von 2011 ergab sogar, dass Sport gegen Angst und Depressionen ähnlich effektiv helfen kann wie eine medikamentöse Behandlung. Aber Achtung: Wer sich deshalb von einem auf den anderen Tag zum Leistungssport zwingt oder aufwendige Großprojekte beginnt, schießt schnell übers Ziel hinaus. „Dass jetzt gerade die Grundproduktivität absinkt, ist völlig normal. Die Situation ist eben nicht die Normalität. Gezwungene Produktivität schafft Frustration!“, warnt Dreher.
Hilfe in Anspruch nehmen
Derzeit ist die Lage in der Klinik Königshof noch ruhig, fast alltäglich. Anders als befürchtet hat der Chefarzt bisher keine Krisenhäufung bei bestimmten Patientengruppen festgestellt. Dennoch müsse man damit rechnen, dass bereits Erkrankte in der nächsten Zeit stärkere Symptome bekommen könnten. „Viele von denen, die aufgrund der aktuellen Lage Existenzängste entwickeln könnten, hatten die ja nicht direkt in der ersten Woche – aber je länger der momentane Zustand andauert, können diese natürlich auftreten. Das Gefühl der Ohnmacht führt unter Umständen zu einer nervlichen Zersetzung, damit rechne ich schon. Aber ich persönlich bleibe optimistisch und möchte das an dieser Stelle auch aussprechen: Es wird vorbeigehen!“, beruhigt Dreher lächelnd.
Wem es schlecht geht, der solle sich unbedingt Hilfe suchen, sofern das eigene Verhalten nicht zu einer Besserung der Gefühlslage ausreicht. Ein höheres Risiko zur Ansteckung mit dem Coronavirus bestehe in der Klinik Königshof nicht. Seinen Patienten bietet das Behandlerteam aktuell Telefon- und Videosprechstunden an, um den nötigen Abstand wahren und trotzdem helfen zu können. Die Stationen der Klinik Königshof sind nur zu rund 75 Prozent belegt, um einen zu starken Kontakt der Patienten untereinander zu vermeiden. „Jeder, der den Hauch eines Risikos hat, wird isoliert und getestet. Und niemand kommt auf die Station, ohne, dass ein Arzt ihn gründlich untersucht hat. Keiner unserer derzeitigen Patienten ist an Covid 19 erkrankt“, zählt Jan Dreher auf. „Wenn sie eine psychische Krankheit haben, kommen Sie also bitte weiterhin ins Krankenhaus!“
Klinik Königshof
Am Dreifaltigkeitskloster 16, 47807 Krefeld
Telefon: 02151-823300
Web: www.klinik-koenigshof-krefeld.de