Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sammelt Horst Peterburs leidenschaftlich alles, was mit seiner Heimat Uerdingen zu tun hat. Über 10.000 historische Fotos und Karten, dazu ungefähr 1.000 Ansichtskarten, befinden sich in seinem Besitz. Die unvergleichliche Sammlung historischer Dokumente ist das Ergebnis jahrelanger, systematischer Arbeit. Riesig ist die Zahl der Quellen, aus denen Peterburs seine Schätze zusammengesucht hat. Das sind unzählige Bücher, Festschriften und Nachlässe verstorbener Uerdinger. „Bestimmend für die Uerdinger Geschichte war schon immer die Lage direkt am Rhein“, erklärt er bei einer kleinen Geschichtsstunde in seinem Elfrather Reihenhaus. Dabei war der Fluss Segen und Fluch zugleich. Fluch wegen der vielen Überschwemmungen, der die Rheinstadt im Laufe ihrer Geschichte ausgesetzt war; Segen, weil die Erfolgsgeschichte der Uerdinger Industrie nur aufgrund dieser verkehrsgünstigen Lage möglich wurde. Im Jahr 1929 wurde die Rheinstadt Uerdingen dann mit dem benachbarten Krefeld zu „Krefeld-Uerdingen am Rhein“ zusammengeschlossen. Damit verdoppelte sich die Länge der Krefelder Rheinfront, und Uerdingen verlor nach fast 675 Jahren seine Unabhängigkeit.

Wasser und Industrie - Einige Schlaglichter aus Uerdingens Geschichte

Uerdingen-Experte Horst Peterburs

Der schwierige Teil der Uerdinger Beziehung zum großen Strom beginnt bereits zwei Jahrzehnte, nachdem die ländliche Siedlung im Jahre 1255 die Stadtrechte erhielt: Um 1275 versank das ursprüngliche Uerdingen in den Fluten, so dass die frischgebackene Stadt ein paar hundert Meter nach Westen verlegt werden musste. Damit war sie zwar vorerst gerettet, aber wirklich sicher vor den Wassermassen war Uerdingen noch lange nicht. Der Rhein kam über die Jahrhunderte immer wieder zu Besuch in die Gassen und Häuser. Davon zeugen heute noch viele Hochwassermarken in der Uerdinger Altstadt. Und das Wasser war nicht nur in flüssiger Form gefährlich. Auch Eisgang richtete immer wieder großen Schaden an. (Zur Erklärung: Eisgang bedeutet, dass die gefrorene Eisdecke eines Flusses durch wärmere Temperaturen aufbricht und die Eisschollen dadurch Ufer und Brücken beschädigen und aufgestautes Wasser an Land drücken.) Im 18. und 19. Jahrhundert erwischte es Uerdingen mehrmals. Im Winter 1824 war die Stadt sogar vier Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Einen letzten schweren Eisgang mit Hochwasser erlebte Uerdingen, damals schon Krefelder Stadtteil, im Winter 1941/42. Später gab es dann keine Eisgänge mehr. Der Rhein war durch die zunehmende Einleitung von Industrieabwässern so aufgewärmt, dass er nicht mehr zufrieren konnte.

Industrie ist das zweite wichtige Stichwort der Uerdinger Geschichte: Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war Uerdingen ein kleines Landstädtchen mit rund 2.000 Einwohnern. Die rasante Entwicklung zur Industriestadt ließ die Einwohnerschaft in einem guten halben Jahrhundert auf mehr als das Siebenfache ansteigen, wobei sich das Stadtbild grundlegend veränderte. Die Basis für Uerdingens industrielle Karriere war seine Lage: am Rhein – ungefähr in der Mitte zwischen den aufstrebenden Industriezentren Düsseldorf und Duisburg – und somit nur einen „Steinwurf“ von Kohle und Stahl entfernt. Der älteste Zweig der Uerdinger Industrie ist allerdings die Zuckerfabrikation, deren Anfänge bis in die Franzosenzeit um 1800 zurückreichen. Zur Nahrungsmittelindustrie im weiteren Sinne zählen auch zwei weitere traditionelle Uerdinger Branchen: Malzkaffee-Fabriken und Ölmühlen. So stellte das Münchener Unternehmen Kathreiner am Rhein lange Jahre den bekannten Caro-Kaffee her, und seit 1888 produzierte die Ölmühle Holtz & Willemsen am Uerdinger Hafen Leinöl, Firnis und Lacköle. Aus zwei Uerdinger Ölmühlen ist dann ein global agierendes High-Chem-Unternehmen entstanden: „Alberdingk Boley“ ein Spezialist für technisch-pharmazeutische Öle und wasserbasierte Bindemittel. Das grüne Logo leuchtet heute jedem Benutzer der Uerdinger Rheinbrücke entgegen.

Wer an Uerdinger Industrie denkt, denkt heute allerdings zuerst an ein bestimmtes Unternehmen, dessen Logo noch viel deutlicher von der anderen Rheinseite aus zu sehen ist: Die Bayer Aktiengesellschaft wurde zwar erst 1951 gegründet; begonnen hatte der Uerdinger Teil des rheinischen Chemie-Imperiums aber schon über 80 Jahre früher unter dem Namen „Farbwerke E. ter Meer & Co.“ Der Gründer, Edmund ter Meer, war der Sohn eines Krefelder Seidenfabrikanten, der 1877 für 2.000 Mark ein 1.500 Quadratmeter großes, hochwasserfreies Grundstück am Rhein erwarb. Heute umfasst der Chempark, in dem Bayer immer noch eine bedeutende Rolle spielt, eine Fläche von 2,6 Quadratkilometern. Hier arbeiten etwa 7.000 Beschäftigte. Wichtige Uerdinger Industrieprodukte heute sind der hier entwickelte High-Tech-Kunststoff Makrolon und anorganische Pigmente, ein Grundstoff für die industrielle Farbenherstellung. Der Name ter Meer, mit dem alles einmal angefangen hatte, lebt in Uerdingen auf andere Weise fort: durch die beeindruckende Ter-Meer-Siedlung, die seit 1994 unter Denkmalschutz steht.

Man könnte noch viel erzählen über die Uerdinger Industrie. Nur soviel sei noch erwähnt: Von der Uerdinger Waggonfabrik, heute Siemens-DUEWAG, wurden und werden seit über hundert Jahren Personen- und Güterwaggons sowie Triebfahrzeuge und Straßenbahnen produziert. Dann gab es noch die Dampfkesselfabrik August Büttner, die heute zu Siempelkamp gehört, und natürlich die Weinbrennerei Dujardin, deren alte Produktionsgebäude inzwischen vor allem für Wohnungen, Künstlerateliers und Gastronomie genutzt werden. Last but not least sollte das Speditionsunternehmen Müncker und Erlenwein erwähnt werden, das die Uerdinger Wirtschaft bereits vor der Eröffnung der Rheinbrücke 1936 mit der Welt verband.

Natürlich besteht die Uerdinger Geschichte nicht nur aus Industrie und Hochwasser. Es gab Bauern und Bischöfe, herrliche Feste und schreckliche Kriege, Reichtum und Notzeiten, Freud und Leid, wie überall am Niederrhein und in der ganzen Welt. Die Beschreibungen dieser langen und vielfältigen Geschichte wären sicher einen weiteren Artikel wert. Aber das möchten wir jemandem überlassen, der sich seit Jahren mit der Uerdinger Historie beschäftigt. Einen guten Überblick bietet die Internetseite von Horst Peterburs: www.horst-peterburs.de. Von Zeit zu Zeit gibt der ehrenamtliche Uerdinger Stadthistoriker der Öffentlichkeit auch einen direkten Einblick in sein Archiv: dann, wenn er einzelne Bilderserien an öffentlichen Orten ausstellt.