Ich stehe mit meinem Einkaufszettel an der Fleischtheke des Supermarkts, und in mir regt sich Widerstand. Die 300 Gramm Rinderhack, mit denen ich dem Kochrezept zufolge vier hungrige Mäuler stopfen soll, sehen einfach zu jämmerlich aus. Natürlich kommen noch zwei Zucchini, ein halbes Brötchen und ein Pfund Tomaten für die Sauce hinzu, aber ich denke an die Mägen meiner pubertierenden Söhne, und in Bezug dazu wirkt die niedliche Mahlzeit wie eine in den Hausflur geworfene Leberwurst. Ein venezianischer Gondoliere mag sich nach dem Verzehr dieser „Zucchini ripiano“ dolce vital und zufrieden zurücklehnen, aber für den Appetit eines die Welt verändernden deutschen Teenagers gilt ein anderer Maßstab, und der hört am Ende einer einzigen mit Hackfleisch bestäubten grünen Röhre nicht auf. Die Muskeln und die vom Turbo-Abitur geplagten Hirnzellen junger Leute brauchen Brennstoff, und deshalb ist jetzt verantwortungsvolles Handeln gefragt. Die Verkäuferin sieht mir an, dass das Leben meiner Nachkommen auf dem Spiel steht und wartet geduldig auf das Resultat meiner Hochrechnung. Ich fange an, mir das Beuteverhalten eines Stahlbetonbauers in Hakans Dönerbude vorzustellen, reduziere das Ergebnis um den Faktor Chill und errechne so den PS4-Konsolenstoffwechselbedarf meiner Jungs. Darüber hinaus schmilzt Super-
markt-Rinderhack in der Pfanne wie Gletschereis in der Sonne, und deshalb erscheinen 800 Gramm gerade ausreichend. Das bereitet mir wiederum Kopfzerbrechen, denn nun muss ich die für 300 Gramm Fleisch vorgesehene Menge Zucchini, Tomaten und Zwiebeln in das richtige Gemüse-Hack-Verhältnis setzen. Eine mit allen Spülwassern gewaschene Hausfrau würde nach Erfahrungswerten gehen, aber mein verunsichertes Y-Chromosom verlangt nach exakter Bedarfsplanung. Ich stelle fest, dass sich das Verhältnis von zwei Zucchini und einem halben Brötchen zu 300 Gramm Rinderhack nicht so ohne weiteres auf 800 Gramm Fleisch übertragen lässt und werde nervös. Warum nur sind schriftstellernde Köche immer der Meinung, der durchschnittliche Esser käme mit einer Portion von der Größe eines Meisenknödels klar? Was soll der Hinweis „Für drei Portionen“ auf der 1.000 Gramm-Tüte tiefgefrorener Paella, wenn nach dem Auftauen in der Pfanne ein Bodensatz zurück bleibt, mit dem man allenfalls einen Foxterrier eine Viertelstunde lang ruhig stellen kann? Wie lautet die Kernaussage einer halben Kelle Tomatensuppe nach einem kräftezehrenden Arbeitstag? Doch wohl eher Appetitanregung als Hungerstillung. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Mutter in den Siebzigern mit dem Verkaufsschlager Miracoli anrückte und sich die 350 Gramm Spaghetti im Kochwasser so verloren fühlten wie ein Rudel Regenwürmer im Elfrather See. Wer Gäste hat, braucht Nachschlag, denn Nachschlag öffnet die Herzen mehr als tausend schöne Worte, und Nachschlag ist der Applaus des Hobbykochs. Was soll’s, wenn am Ende des Hungers eine Sicherheitsreserve zurückbleibt. Aufgewärmtes schmeckt mitunter besser als das Original, und nichts garantiert eine bleibende Freundschaft mehr als ein zufriedener Esser.
Wolfgang Jachtmann