Den Dachdecker-Jungs laufen Tränen vor Lachen über die Wangen, als sich die junge Frau mit Blumenkleid, langen blonden Zöpfen und vor Traurigkeit und Wut fast überlaufenden Augen in den gelben Fiesta vor der Doppelhaushälfte an der Forstwaldstraße steigt. So hatte sich Katharina Kulla ihre erste Begegnung mit dem Team nicht vorgestellt. Auf das läppische „Ey Kleines, können wir dir helfen?“ antwortet die selbstbewusste Krefelderin souverän mit: „Kleines macht jetzt die Bauleitung.“
Aber beim Verlassen der Baustelle sieht es in ihr ganz anders aus: Als die begabte Bauzeichnerin Anfang der 90er mit gerade einmal 20 Jahren entschließt, Architektin zu werden, gelten „Architektinnen“ höchstens als Anhängsel ihrer Ehemänner, die mitunter ein Architektenbüro betreiben. Nur wenige trauen den studierten Frauen zu, die gleichen Leistungen zu erbringen wie die männlichen, hochangesehenen Kollegen. Aber Katharina Kulla zeigt schon früh, dass die weiblichen Exoten auf ihrem Gebiet völlig unterschätzt werden: Nur zehn Jahre später erschafft sie das Gesundheitszentrum des Maria-Hilf-Krankenhauses in Krefeld und setzt sich als charismatische Einzelkämpferin gegen etliche männliche Bewerber aus alteingesessenen Architektenfamilien durch. Heute steht die 50-Jährige fest im Beruf, hat für ihre Arbeit Preise abgeräumt und nimmt die immer wieder aufkommenden, schrägen Begegnungen in einem Männerbusiness mit Humor. „Als Bauleiterin bin ich immer noch ein grüner Alien“, sagt sie und lacht. „Aber Aliens haben ja bekanntlich auch Vorteile.“
Diese Gewissheit fasst Katharina Kulla schon als junges Mädchen. In einem Haushalt mit zwei starken Elternteilen und einer jüngeren Schwester orientiert sie sich an den Jungs in der Nachbarschaft. Eines Tages kommt sie mit einem blauen Auge nach Hause. „Und, hast du dich gewehrt?“, fragt sie ihr Vater. „Du kannst entweder das Mädchen sein, das anführt, oder das, das einsteckt. Die Wahl liegt bei dir.“ Kulla entscheidet sich für die Kämpfernatur: Zukünftig ist sie die Leaderin der Clique. Die ersten Vorteile des „grünen Aliens“, der Außenseiterposition, werden ihr dann erstmals im Studium bewusst: In Bochum an der Fachhochschule schreibt sie sich als eine von zehn weiblichen Studentinnen unter 300 Personen für Architektur ein. Während die Professoren ihr schon früh zu spüren geben, dass sie ihr Engagement mit Skepsis betrachten, wird die Krefelderin von ihren Kommilitonen gepusht.

Nach dem Jahrtausendwechsel leitete Kulla viele Umbauten im Gesundheitsbereich. Unter anderem den des Salveas
„Wenn du als relativ gutaussehende Frau in einem Männerstudiengang bist, hast du gleich mehrere Freunde, die dir helfen, wenn du was nicht verstehst“, sagt die aufgeschlossene Charismatikerin schmunzelnd. „Das war nicht schlecht.“ Aber Kulla braucht nur wenig Hilfe: Das Studium meistert sie mit Bravour, arbeitet parallel während des Studiums bei Domus Hausbau und geht anschließend eine Festanstellung bei einer Bauträger-Firma in St. Tönis ein. Ihr Ziel ist es, nach den vorgeschriebenen vier Jahren im Angestelltenverhältnis, den Büroplatz gegen den Staub und Dreck der Baustelle zu tauschen. Aus der leitenden Architektin der Planungsabteilung mit vier unterstellten Mitarbeitern wird das zunächst einköpfige „Katharina Kulla Architekturbüro“. „Ich war nie eine gute Mitarbeiterin, dafür habe ich ein viel zu freies Mundwerk“, erklärt die 50-Jährige. „Aber ich hoffte schon immer, eine gute Architektin zu werden, und deswegen war mein Weg mit Studiumseintritt für mich klar.“
Ihre Qualität bestätigt auch das Erklimmen der Karriereleiter in der Selbstständigkeit: Nach Abschluss des Baus des Gesundheitszentrums am Maria-Hilf-Krankenhaus im Jahr 2001 prasseln die Aufträge nur so auf ihren Tisch. Kulla ist viel in der Gesundheitsbranche unterwegs, übernimmt aber auch immer wieder die Planung und Umsetzung von leerstehenden Gebäuden zu Wohnkomplexen. Mit Leidenschaft leitet sie die Umbauten von Altbauprojekten, führt die Gebäude zurück in eine nachhaltige Nutzung und erhält gleichzeitig den alten Charme.

Die Architektin liebt den Altbaucharme: Der Umbau des Haus Die erste Senioren-WG Krefelds entstand in
Schönhausens stammt aus ihrer Feder
Ihr Herzensprojekt aber ist ein ganz persönliches: 2004 besichtigt sie ein Haus an der Hansastraße 87. „Das alte Eisenbahnamt stand schon seit langer Zeit fast leer, und der Inhaber wollte es loswerden“, erinnert sie sich. „Schon bei der ersten Begehung habe ich mir vorgestellt, was aus diesem Schätzchen werden kann. Als ich den Kredit bei der Bank beantragt habe, wurde mir trotzdem mulmig.“ Hinter den roten Ziegeln und den großen Fenstern des denkmalgeschützten Hauses erschafft Katharina Kulla als Bauträgerin und Bauleiterin 23 Wohneinheiten, mehrere Büros und Krefelds erste Senioren-Wohngruppe überhaupt. „Niemand hat gedacht, dass das aus der Ruine werden kann“, beschreibt sie. „Das hat mich schon stolz gemacht.“ Für diese Arbeit erhält die Architektin eine Auszeichnung der Architektenkammer NRW im Bereich Architektur im Denkmalschutz. Noch heute gehört ein Großteil des Gebäudes ihr.

Die erste Senioren-WG Krefelds entstand in Kallas Haus an der Hansastraße
Mit den Jahren und den beruflichen Erfolgen nehmen die Souveränität und Ausstrahlung der Krefelderin zu: Wurde sie früher auf dem Bau komisch beäugt, arbeiten jetzt die Handwerksfirmen ausgesprochen gerne mit ihr zusammen. „Natürlich wirst du mit steigendem Alter auch ernster genommen als mit Anfang 20“, erklärt sie. „Aber dennoch ist das auch alles die Konsequenz daraus, wie du dich gibst.“ Kommt Kulla im Winter auf eine Baustelle, dann legen die Handwerker ihr Bretter über den Matsch, damit sie ihre Schuhe nicht schmutzig macht. Gibt die 50-Jährige Anweisungen, werden diese ernstgenommen und befolgt. Und kommt im Handwerkerspint beim Baustellenbesuch ein halbnacktes Pin-Up-Girl zum Vorschein, dann reagiert Kulla mit einem flotten Spruch anstatt verschämt zur Seite zu gucken. „Die Männer auf dem Bau sind einfach nicht gewohnt, mit Frauen beruflich zu interagieren. Sie haben Angst davor, auf einen Alien zu treffen“, beschreibt sie. „Diese Angst kann ich ihnen nur nehmen, indem ich meine Angst als Mädchen mit dem Blümchenkleid und den langen Zöpfen überwinde. Das habe ich schon vor langer Zeit geschafft.“
Katharina Kulla, Dipl. Ing. Architektin, Friedrich-Ebert-Straße 17, 47799 Krefeld, Telefon: 02151-15 95 50, www.architekturbuero-kulla.de