Kolumne: Zur Problematik von Geschenkgutscheinen
Früher sah ich mir an trüben Tagen alte Familienfotos an, heute mache ich das mit meinen nicht eingelösten Geschenkgutscheinen. Ich bin vielleicht undankbar, aber mein Gesicht ist knittrig wie eine durchgesessene Tageszeitung. Da nützt der lieb gemeinte Gutschein für die Apotheken-Pflegeserie auch nichts mehr, und mein Bandscheibenschaden ist eher was für „Einmal Abwrackprämie“ als für „Einmal Ayurveda Massage“. Dass mir mein Gutschein über eine Stunde im Flugsimulator demnächst helfen wird, eine Boing 747 notzulanden, ist wenig wahrscheinlich, und als teilausgebildeter Unfallchirurg muss ich auch nicht in einem Samurai-Workshop lernen, wie man schmerzlos einen Kopf von seinem Körper trennt. Ich respektiere Gefahren-Junkies, Angst-Enthusiasten und Suizid-Hooligans, die mit ihren Geschenkgutscheinen munter losziehen, um in der Arktis oder in Uganda mit Eisbären oder Gorillas zu spielen; mir aber schrumpelt die Gallenblase schon beim puren Anblick meines Gutscheins über „Einmal Übernachten im Gurkenfass“.
Ich glaube, dass Gastronomie, Einzelhandel und vor allem Internetanbieter in kosmischen Dimensionen von ihren nicht eingelösten Geschenkideen profitieren, und gerate zu der Auffassung, dass unsere Verteidigungsministerin von den geldwerten Kärtchen, die da in deutschen Kramschubladen vergilben, problemlos die sechs U-Boote der Bundesmarine reparieren lassen und dazu noch das ein oder andere flammneue Atom-U-Boot bei den Amerikanern bestellen könnte. Es scheint so zu sein, dass Geschenkgutscheine allzu oft nicht der Ausdruck einer guten Idee, sondern einer gut gemeinten Ratlosigkeit sind. Neulich habe ich gelesen, dass Helikopter-Rundflüge auf der Negativliste der Verlegenheitspräsente ganz oben stehen. Man sollte sich vielleicht rechtzeitig vor Oma Klawuttkes 80stem Geburtstag erkundigen, ob sie vor lauter Angst am Steuerknüppel eines Kampfhubschraubers oder lieber friedlich im eigenen Bett sterben will. Und wer seine Tage als Ehemann und nicht als Single beschließen will, der sollte seiner Gattin zur Silberhochzeit auch nicht unbedingt einen Gutschein für eine „Zahnreise nach Budapest“ spendieren. Man könnte meinen, dass der zu Beschenkende ja selbst schuld ist, denn ein Mensch macht doch immer und überall Eindruck auf seine Umgebung. Wenn Cousine Gesine in den Wochen vor ihrem Geburtstag etwas blass um die Nase herum ist, legen Ihre Freundinnen für ein Wellness-Weekend in Sankt Schlammbad zusammen, und weil Onkel Rudis sächsischer Dialekt verrät, dass er vor 40 Jahren aus dem Osten getürmt ist, gibt’s zum 70sten einen Gutschein für „Hinter dem Horizont geht’s weiter“ oder einen Nachmittag in einer Nacktbadeanstalt. Kurz vor seinem 50. Geburtstag hatte man meinen Freund Thomas beim „Auf Ex“-Trinken eines Glases Rum-Cola beobachtet, und die stille Post hat daraufhin dafür gesorgt, dass seine Leberzellen wegen der folgenden Schnapsgutscheinlawine heute noch das Lied vom Bacardi-Feeling pfeifen können. Hand aufs Herz. Ich habe auch schon einen Burger-Bratkurs und ein Krimi-Dinner verschenkt, weil mir nichts Besseres eingefallen ist und ein Fuffi im Umschlag peinlich gewesen wäre. Viele Geschenkgutscheine treffen ins Schwarze und mitten ins Herz, aber sie verpflichten auch, und ich erinnere mich daran, wie ich mir als Achtzehnjähriger fast eine Magenschleimhautentzündung eingefangen hätte, weil ich ständig damit rechnen musste, dass sich meine Patentante Agathe nach dem Erfolg ihres Gutscheins über „Einmal Tanzkurs für Standard- und lateinamerikanische Tänze“ erkundigt.